January 9th, 2022

Der Krise entgegen – Soziologische Kritik am Design

Design ist implizit politisch und es betrifft nicht nur “Konzepte und dann Entwürfe für die Verbesserung gesellschaftlicher Prozesse und die bedingenden Objekte, Zeichen, Medien und deren gegenseitige Beziehungen sowohl in der Produktion als auch in der Verwendung und Gebrauch”, sondern “neben den gestalterischen unter anderem auch wirtschaftliche, kulturelle, ökologische, technische, soziale Dimensionen.” (Erlhoff 2013, 23).

Klären wir vorerst einmal die Wechselbeziehung zwischen Mensch und Design. Bei einem gestalteten Produkt handelt es sich meist um ein Mensch-Artefakt-System, da es nicht nur durch, sondern vor allem für den Menschen gemacht wird. Eine konkrete Nutzung des Produkts für die jeweilige Zielgruppe wird beim Entwerfen berücksichtigt (vgl. Rust 2010, 111). Dies bedeutet auch, dass im Umkehrschluss bestimmte Produkte und deren Design beziehungsweise deren Erschaffer*innen wiederum den Menschen und daraus resultierend die Gesellschaft beeinflussen. Doch wie lässt sich diese Korrelation an konkreten Beispielen festmachen und erklären? Und wie kann die Designwissenschaft einen Teil dazu beitragen, die Menschen nicht nur über den Designbegriff, sondern auch über Gefahren und Problematiken bestimmter (Produkt-) Designs aufzuklären? Dies wollen wir im Folgenden und anhand von Beispielen beleuchten.

Betrachten wir dazu erst einmal ein Ereignis der Vergangenheit. Dort wird der Einfluss von Design vor allem während der Herrschaft der NSDAP deutlich: Wesentliche Bereiche des gesellschaftlichen Lebens wurden dadurch beeinflusst und geprägt. Ein einheitliches Branding wurde, laut dem Designkritiker Michael Erlhoff, innerhalb der nationalsozialistischen Regierung zum ersten Mal strategisch eingesetzt (vgl. Erlhoff 2021, 77). Zu der Markengestaltung zählen eindeutig wiedererkennbare Logos wie der Reichsadler und die Embleme der Organisationen wie der Schutzstaffel oder der Hitlerjugend. Auch die Uniform vermittelt die Zugehörigkeit einer Gruppe und demonstriert jeweilige Hierarchien (ebd. 78). Die Organisation von Parteitagen sowie standardisierte Lieder zählen ebenfalls dazu. Ein besonders mächtiges Gestaltungselement dieser Zeit war die Rhetorik. Dies beinhaltete „Heil Hitler“-Rufe, Betonung der Nationalität und Ausgrenzung von Minderheiten (ebd. 79). Des Weiteren beschreibt Erlhoff traditionell-kitschige Bildwelten von „Trachten, Schnörkeln, blondbezopften Mädchen (…) sowie (…) durchtrainierten weißen Männeroberkörpern“ (ebd. 70). Diese verbreiten bewusst Idealbilder und Stereotype eines typisierten Deutschen, die der Bevölkerung als Vorbild dienen sollten. So findet auch Rassismus in der Gestaltung einen Platz.

Abb. 1: Plakat des Winterhilfswerks, Reimer, um 1938

Brutalität und Ausgrenzung schließen sich dem an, symbolisiert durch den Judenstern, der dem Davidstern nachempfunden ist und mit seiner Gestaltung die jüdische Kultur verhöhnt (ebd. 80). Bewusst und doch möglichst unterschwellig werden diese Werte weitergegeben. Die Aufteilung der Gesellschaft in zwei gegensätzliche Gruppen wird durch Design kommuniziert und gefestigt. Die Menschen dieser Lager werden stark verallgemeinert. Ein Beispiel dafür ist das von Kracauer beschriebene „Ornament der Massen“. Dort werden Menschen in perfekte geometrische Facetten unterteilt und beim Ausführen identischer Bewegungen dargestellt (Kracauer 1977, 51). Somit werden sie objektiviert und durch Ausführen von Befehlen zu Instrumenten des Machtgewinns gemacht. Die Individualität und Humanität wird bewusst nicht beachtet und unterdrückt.

Nicht zuletzt spielt die Architektur zu dieser Zeit auch eine entscheidende Rolle Eindrucksvolle Gebäude und prunkvolle Straßen demonstrieren Macht und dienen zum Aufmarschieren des Militärs (Erlhoff 2021, 71). Es wird deutlich, dass Design in jeglicher Form das Werkzeug für Nationalsozialisten ist.
All diese Elemente und ihre hervorgerufenen Emotionen werden zur Gestaltung der Umwelt genutzt und um die Bevölkerung bewusst zu lenken. Politik wird stark ästhetisiert, um Menschen mitzureißen, die Meinungsbildung wird klar beeinflusst. Gestaltung war somit eng mit dem System der Nationalsozialisten verwoben. Michael Erlhoff zufolge neigen Kunst und Design im Allgemeinen dazu, mit autoritären Regimen zusammenzuarbeiten. (ebd. 70). Denn Kriterien wie Funktionalität, einfache Handhabung und Attraktion, die in diesen Disziplinen von Bedeutung sind, gelten auch für das Regime der Nationalsozialisten. (ebd. 71). Unter diesem Aspekt ist es nicht überraschend, dass diverse Größen des Bauhaus Rädchen im politischen System des dritten Reichs waren. So gestaltete der ehemalige Bauhaus-Lehrer Herbert Bayer rassistische Plakate für das NS-Regime. (ebd. 67). Auch Mies van der Rohe arbeitete an einem Entwurf für die Ausstellung „Deutsches Volk, Deutsche Arbeit“ (ebd. 68). Die Regierung befürwortete die architektonischen Prinzipien der Kunstschule beim Bau der Konzentrationslager (ebd. 72). Der Bauhaus-Student Fritz Ertl war als Teil der „SS-Neubauleitung Ausschwitz“ führend am Aufbau des Konzentrationslagers Auschwitz beteiligt. Das Bauhaus spielte beim stringenten Design der NSDAP eine wichtige Rolle. Heutzutage sind solche Informationen in den Hintergrund gerückt, viel mehr wird der Erfolg und Einfluss der Kunstschule hervorgehoben. Bei diesem Beispiel zeigt sich besonders, dass die Funktion und die Konsequenzen eines Produkts, beziehungsweise dessen Gestaltung, von großer Bedeutung sind. Zudem wird deutlich, dass willige Akteure gebraucht werden, um der Gestaltung ihre Macht zu geben und Einfluss auszuüben.

Abb. 2: Agbogbloshie, Ghana, Lowy, 2015

Doch neben vergangenen Ereignissen sind aktuelle Problematiken, die Design erzeugt, wichtiger denn je. Waldrodung, Wasserknappheit, Einkommensungleichheit, Armut, Umweltverschmutzung: Diese Themen füllen heutzutage die Nachrichten, werden jedoch schnell wieder durch schrille Werbung des neuesten Markenprodukts oder einer “unfassbaren Preissenkung” für Produkt XY abgelöst. Obwohl der Trend Richtung Nachhaltigkeit und bewussterem Leben in den letzten Jahren deutlich an Fahrt aufgenommen hat und sich immer mehr Menschen Umweltbewegungen wie Fridays for Future anschließen, scheint diese Entwicklungstendenz in vielen Bereichen des alltäglichen Lebens immer noch deutlich ausbaufähig zu sein. Wolfgang Fritz Haug propagierte bereits in den 1970ern eine funktionelle Bescheidenheit und beschrieb das Design als kapitalentwertend und Teil der Antriebsmaschinerie des Kapitalismus (Haug 1971, 175). Obwohl die genannten Problematiken unseren Lebensraum und unsere Lebensqualität deutlich negativ beeinflussen und in diesem Zusammenhang auch unser gesellschaftliches Zusammenleben modulieren, wird immer wieder ersichtlich, dass insbesondere das (Produkt-) Design häufig die Augen vor den Folgen ihrer gestalterischen Entscheidungen und bestimmten Entstehungsprozessen verschließt: Im Vordergrund steht viel eher die oberflächliche Gestaltung, die Innovation und der finanzielle Gewinn als der Gedanke das Produkt nachhaltiger und damit vielleicht aufwändiger und teurer zu entwerfen. Dabei übersehen oder ignorieren sowohl Produzenten als auch Konsumenten das komplexe System des Designs, an dem nicht nur gestalterische Aspekte hängen, sondern auch Entstehungs- und Produktionskontexte welche wiederum teils extreme Auswirkungen auf bestimmte Menschen beziehungsweise Gesellschaftsschichten haben können. Ein Beispiel für diese negativen Effekte des Massenkonsums und dessen abfallerzeugenden Überresten ist Agbogbloshie, die größte Elektroschrottdeponie Afrikas, die sich in Ghanas Hauptstadt Accra befindet. Auf der 1.600 Hektor umfassenden Deponie befinden sich Slums, deren Bewohner sich mit dort gefundenen, noch verwertbaren Bestandteilen ihren Lebensunterhalt verdienen. Die Halde gehört zu den zehn verseuchtesten Orten der Welt und beschert den Slumbewohnern eine Lebenserwartung von maximal 40 Jahren (Recklies 2018, 95). Die Tatsache, dass sich Designprodukte im Endeffekt häufig in Müll verwandeln, thematisierte auch die Kuratorin Alice Twemlow in ihrer Publikation “Stifting the Trash”. Twemlow fordert eine Designkritik, die nicht nur die Altmaterial Problematik aufgreift und kritisch hinterfragt, sondern darüber hinaus auch “ Sozialverhalten, Politik, Infrastruktur und wirtschaftliche Verhältnisse zu ihrem Gegenstand macht.“ (Twemlow 2017, 9).

Es wird deutlich, dass die heutigen Designentscheidungen einen zumeist verheerenden Einfluss auf bestimmte gesellschaftliche Schichten, insbesondere Menschen in Entwicklungs- und Schwellenländern haben. Meist führt die räumliche Entfernung oder das Unwissen über den Rattenschwanz der an bestimmten gestalterischen Maßnahmen hängt dazu, dass viele Menschen diese Missstände ignorieren, billigend in Kauf nehmen oder erst gar nicht darüber informiert sind zu einer Stagnation der Lage, mit nur minimalen kleinen positiven Veränderungen oder sogar Verschlechterung der Situation.
Das Begreifen und Anerkennen der Rolle des Designs im großen System des Kapitalismus ist ein erster Schritt in die richtige Richtung und generiert eine ganzheitliche Designkritik, die innerhalb der Designwissenschaften für alle Menschen zugänglich werden kann.

“We don’t need a thought police. We need discussion. We need thinking. We need critical faculties. We need to embrace the dilemmas and conflicts in design, and take responsibility for the outcome of the work. When we use the term ‚we ‘, we don’t mean designers as separate from clients, or as some extra- ordinary class of powerfull oversees. We mean ‚we’ as citizens collecively imagining our futures.” (Mau 2004,1 7).
Und so zeigt sich, Mensch und (Produkt-) Design (Artefakt) stehen dem jeweiligen Zeitgeist entsprechend in einer engen Wechselwirkung. Designwissenschaft kann durch Analyse der Lieferant von Informationen sein, auf deren Grundlage sich der Status Quo bewerten und zum positiven verändern lassen kann. Es sollten nicht nur die gängigen Kriterien für „gutes Design“ wie Funktionalität, sondern insbesondere dessen Konsequenzen in Betracht gezogen werden (Erlhoff 2021, 20). Dieses Bewusstsein sollte jede gestaltende Person entwickeln, um weiteren Krisen entgegenzuwirken.

Ann-Christin Brandes & Alina Weisbrot, Januar 2022

References

Literatur

Erlhoff, Michael (2021): Die Macht als Design. Ästhetisierung und Normierung des Alltags, Die Macht der Gestaltung                 auch im Nationalsozialismus, in: Fezer, Jesko (Hrsg.): Im Schatten von Design. Zur dunklen Seite der Gestaltung, Birkhäuser, Basel, S.66-82

Erlhoff, Michael (2013): Die Theorie des Designs, München

Haug, Wolfgang F. (2009): Kritik der Warenästhetik, Suhrkamp, Frankfurt.

Kracauer, Siegfried (1977): Das Ornament der Masse, Suhrkamp, Frankfurt.

Mau, Bruce (2004): Massive Change. Institutes without Boundaries, Phaidon Press

Recklies, Mara (2018): Ein Plädoyer für mehr politischen Bewusstsein in der Designkritik, in: Gronert, Siegfried,         Schwer, Thilo (Hrsg.): Designkritik. Avedition, Stuttgart, S. 93- 100

Rust, Stephen (2010): Über Designwissenschaft, in: Romero-Tejedor, Felicidad & Jonas, Wolfgang (Hrsg.): Positionen zur Designwisssenschaft. Design-wissenschaft. University Press, Kassel.

Twemlow, Alice (2017): Stifting the Trash. A History of Design Criticism, MIT Press, New York.

Abbildungen

Abbildung 1: Plakat des Winterhilfswerkes

Abbildung 2: Agbogbloshie, Ghana

Download & Citation Info

Brandes, Ann-Christin & Alina Weisbrot (2022): Der Krise entgegen – Soziologische Kritik am Design. In: DESIGNABILITIES Design Research Journal, (01) 2022. ISSN 2511-6274  www.designforschung.org