May 1st, 2022

Zur dunklen Seite der Gestaltung

Mit dem Roman „Musils Mulis“ (König 2021), dem Sammelband „Design & Democracy“ (BIRD / Birkhäuser 2021) und der Textsammlung „Im Schatten von Design“ (Bauwelt Fundamente / Birkhäuser 2021) erschienen im vergangenen Jahr gleich drei Bücher deren Veröffentlichung ihr Urheber, der am 1. Mai 2021 verstorbene Michael Erlhoff nur knapp verpasste. Noch immer schmerzt seine Abwesenheit sehr, doch partiell vermag die Lektüre seiner Arbeiten Linderung verschaffen, die sich ihrerseits nicht nur mit den fröhlichen, sondern auch mit den abwegigen, verwegenen, den dunklen Seiten des Designs beschäftigten. Burca Ilgün mit einem Teaser zum letztgenannten Werk.

Design ist bei weitem nicht immer gut und schon gar nicht erst tut es immer nur Gutes. Es verfügt – wie vermutlich jede:r von uns – auch über dunkle Seiten. In dem kurz vor seinem Tode erschienenen Buch „Im Schatten von Design – Zur dunklen Seite der Gestaltung“ (Birkhäuser 2021) lenkt der Designtheoretiker Michael Erlhoff unseren Blick auf Waffen, Hinrichtungsgeräte, den Nationalsozialismus sowie die dazugehörigen Designer:innen. Das Buch ist dabei in sechs Oberthemen mit jeweils kurzen, kurzweiligen Textsammlungen kompiliert.

Effizientes Design

In den ersten Zeilen des Kapitels ’Perfektes Design“ erläutert uns Erlhoff die Grundkriterien für „gutes“ und „erfolgreiches“ Design und liefert auch gleich ein Beispiel hinterher, welches einem den Atem stocken lässt: Fred A. Leuchter präsentierte 1999 stolz in einer amerikanischen TV-Dokumentation einen von ihm gestalteten, technischen Gegenstand anhand jener Kriterien, die Erhoff uns erläutert. Es handelt sich um den Elektrischen Stuhl. Dieser arbeite schnell und präzise, und das Allerwichtigste, er gewährleiste eine komfortable Hinrichtung für seine Nutzer:innen. Leuchter, scheinbar ein Meister auf seinem Gebiet, hatte sich Jahre zuvor bereits für das Redesign von Gaskammern engagiert. Später machte er dann als Holocaustleugner von sich reden.

Design im Nationalsozialismus

Im Kapitel ‚Ästhetisierung und Normalisierung des Alltags’, legt Erlhoff dar, wie viele Bauhäusler, darunter Herbert Bayer, Walter Gropius, Mies van der Rohe und viele weitere Designer:innen, aktiv für den Nationalsozialismus gearbeitet haben. Nach dem Zweiten Weltkrieg haben sie keinerlei Konsequenzen tragen müssen. Es wurde weggesehen und vergessen, und wenn es zu einer Anklage kam, wie bei Fritz Ertl, der am Auf- und Ausbau für Konzentrationslager mitwirkte, wurde die Klage einfach fallen gelassen. Dies sei nicht zuletzt wohl dem Erfolg der Marke „Bauhaus“ zu verdanken.

Erlhoff zeigt uns auf, dass es nicht nur schöne Seiten von Design gibt, wie im Brandig Design, Modedesign, Grafikdesign und der Architektur, sondern sich auch dunkle Seiten in seinem Schatten verbergen: Krieg, Terrorismus, Faschismus und vieles mehr. Eine Pflichtlektüre für Lehrende, Studierende, Designer:innen, aber auch für Interessierte, die verstehen möchten, in welch breitem Spektrum Designer:innen arbeiten – wenn auch nicht immer für „das Gute“.

Burca Ilgün, Mai 2022

Gestaltung der Tötung: Fred A. Leuchter (rechts), Erfinder des Elektrischen Stuhls.


Michael Erlhoff
Im Schatten von Design –
Zur dunklen Seite der Gestaltung

156 Seiten; Birkhäuser / Bauwelt Fundamente, 2021
ISBN 978-3-035-623819

References

Download & Citation Info

Ilgün, Burca (2022): Zur dunklen Seite der Gestaltung | Buchbesprechung. In: DESIGNABILITIES Design Research Journal, (05) 2022. https://tinyurl.com/2a622kfj ISSN 2511-6274