August 1st, 2022

Zwischenmenschliches Design – Sozialität und Soziabilität durch Dinge

Annika Bartling & Nele Wellmeyer | Buchbesprechung

Was ist zwischenmenschliches Design? Oft wird die Frage gestellt, wie sich Design auf die Gesellschaft auswirkt. Bevor sich dies beantworten lässt, muss zunächst die Beziehung einzelner Menschen betrachtet werden. In ihrem 2020 erschienenen Sammelband „Zwischenmenschliches Design – Sozialität und Soziabilität durch Dinge“ untersuchen die Herausgebenden Martina Fineder und Johannes Lang mikrosoziologisch die Rolle designter Dinge in zwischenmenschlichen Beziehungen.

Einführend klären sie dabei zunächst die Bedeutung des Begriffs „Social Design“. Aus der Überlegung heraus, wie das Design von Dingen die zwischenmenschlichen Beziehungen beeinflusst, ergeben sich für Fineder und Lang drei Lesarten: die ethische, immaterielle und interaktive Lesart. In der ethischen geht es darum, wie gestaltete Objekte dem Menschen nützen, während bei der immateriellen Lesart der Schwerpunkt auf der Gestaltung von immateriellen Dingen, wie zum Beispiel Netzwerken, liegt. Die interaktive Lesart lässt auch die Beziehung zwischen und mit Objekten zu, allerdings betonen die Herausgebenden, dass sie sich im Folgenden ausschließlich darauf konzentrieren, wie Dinge die Beziehung zwischen Menschen beeinflussen (vgl. Fineder/Lang 2020, 1-9).

Als Nächstes definieren Fineder und Lang, wie sie die Begriffe „Sozialität“ und „Soziabilität“ gebrauchen und verstehen. „Sozialität“ beschreibt bereits existierende, durch Dinge gestaltete soziale Strukturen, an denen man teilnehmen kann. „Soziabilität“ beschreibt das Potenzial der Menschen, durch Dinge eine Beziehung zu erschaffen. Soziabilität bildet sich aus drei Kompetenzen: dem zwischenmenschlichen Erkennen, Handeln und Erleben. Die Gestaltung von Dingen kann diese Fähigkeiten beeinflussen (vgl. Fineder/Lang, 9-11). Die in dem Band enthaltenen Beiträge werden im Folgenden anhand dieser drei Kompetenzen kategorisiert und zusammengefasst: Beim zwischenmenschlichen Erkennen beeinflussen Dinge, wie man andere Menschen wahrnimmt und welche Erkenntnisse man über eine Person oder einen Zustand erhält (vgl. Fineder/Lang 2020, 11-14). Das zwischenmenschliche Handeln beschreibt, wie durch die Gestaltung von Dingen teils unbewusst ein bestimmtes Verhalten ausgelöst wird (vgl. Fineder/Lang 2020, 14-17). Für das zwischenmenschliche Erleben sind gestaltete Dinge wichtig, da sie beeinflussen, wie sich Personen und Gruppen begegnen und die Gruppenidentität prägen (vgl. Fineder/Lang 2020, 17-20).

Fineder und Lang schließen mit der Äußerung ihres Zieles, „die enorme Bedeutung der Dinge für soziales Erkennen, Handeln und Erleben in den Fokus weiterer Forschungs- und Gestaltungsprojekte zu rücken“ (Fineder/Lang 2020, 20).

Die beiden Herausgebenden bieten einen inhaltlich sinnvoll geordneten Einstieg in das Thema „Zwischenmenschliches Design“, welches erst allgemein gehalten und dann spezifischer behandelt wird. Um die Untersuchungen und Erklärungen anschaulicher zu machen, werden viele Beispiele verwendet, wenngleich diese auch nicht immer zur einfacheren Verständlichkeit beitragen. Die drei Kompetenzen der Soziabilität können beispielsweise besser anhand eines einzigen Themas, wie dem Institut „Schule“, verdeutlicht werden: Das zwischenmenschliche Erkennen beginnt damit, dass man anhand der Rucksäcke, Ordner und Etuis erkennt, wer Schülerin und wer Lehrerin ist. Zwischenmenschliches Handeln findet man in der Raumgestaltung, denn während Einzeltische und Tischreihen eine konzentrierte, auf die Lehrkraft bezogene Arbeitsweise fördern, führen Gruppentische zu mehr Interaktion mit den Mitschüler*innen. Das zwischenmenschliche Erleben wird durch die Nutzung eines Klassenraumes angesprochen, da durch die gemeinsame Überlegung, wo das Biologie-Plakat und die Matheformeln aufgehängt werden sollen sowie durch das Teilen von Tafel, Tischen und Stauraum bereits unbewusst das Gemeinschaftsgefühl geprägt wird, bevor die eigentliche pädagogische Arbeit innerhalb der Gruppe beginnt.

Neben Beispielen werden außerdem häufig Designerinnen und Wissenschaftlerinnen genannt, die ähnliche Thesen oder Ideen aufgreifen. Dazu zählt auch Lucius Burckhardt mit seiner Theorie „Design ist unsichtbar“ (vgl. Fineder/Lang 2020, 7), durch die sich bei uns eine Frage an Fineder und Lang stellt, die nicht ausreichend beantwortet wird: Beeinflusst die Gestaltung von Dingen die zwischenmenschliche Beziehung direkt positiv oder negativ oder geschieht dies erst durch die Nutzung und Art der Verwendung?

Betrachtet man den Designprozess, der von Burckhardt in die Phasen „Entwurf“ und „Konsum“ eingeteilt wird, stellt sich Folgendes heraus: Sobald im Designprozess ein Problem erkannt wird, wird im Entwurfsprozess nach einem problemlösenden Objekt gesucht. Dieses ist zunächst neutral, bis es von jemandem eingesetzt wird. Es kann gleichzeitig argumentiert werden, dass Gestaltung durch Interaktion zwischen Menschen entsteht. Deren Einflüsse wirken beim Konsumieren auf die Gesellschaft zurück. Daraus resultiert, dass Gestaltung nicht neutral ist, sondern gesellschaftsfördernd oder -verhindernd wirkt (vgl. Burckhardt 2004, 196f). Folglich wirkt Gestaltung also auf die Sozialität und Soziabilität der Menschen, indem die drei Kompetenzen – Erkennen, Handeln und Erleben – direkt beeinflusst werden. Laut Burckhardt bedeutet unsichtbares Design, dass das konventionelle Design diese soziale Funktion nicht bemerkt, aber das Design von morgen sich dieser unsichtbaren Gesamtsysteme, dieser Wechselwirkung zwischen Objekt und zwischenmenschlichen Beziehungen, bewusst werden muss, um sie zu berücksichtigen (vgl. Burckhardt 2004, 199).

Fineder und Lang erwähnen kritisch, dass soziales und konventionelles Design nicht getrennt werden können (vgl. Fineder/Lang 2020, 7). Dies ist nachzuvollziehen, denn die Beziehungen zwischen Menschen können nicht nur durch Unsichtbares beeinflusst werden, sondern auch durch die „konventionellen“ Objekte, wie im Beispiel des Klassenraums. Allerdings nennt Burckhardt ebenfalls einen wichtigen Kritikpunkt, der auf die Untersuchungsmethode der Herausgebenden übertragbar ist: Er führt an, dass der Einfluss der Dinge nicht immer vorhergesehen werden kann (vgl. Burckhardt 2004, 197ff). Anders formuliert bedeutet das also, wenn beim Design eines Gegenstandes lediglich die mikrosoziologische Ebene der zwischenmenschlichen Beziehung in Betracht gezogen wird oder eine der drei Kompetenzen für Soziabilität, es dazu führt, dass es zwar positive Auswirkungen in mikrosoziologischer Sicht, aber negative Auswirkungen auf die Gesellschaft haben kann.

Während Theorien wie die von Burckhardt nur unterstützend erwähnt werden, fassen Fineder und Lang die einzelnen Beiträge der mitwirkenden Autor:innen ausführlicher zusammen. Jene setzen sie miteinander in Beziehung, wodurch die angeführten Argumente der Herausgebenden verständlicher werden. Sie geben allerdings keine expliziten Anweisungen, wie zwischenmenschliches Design auszusehen hat, noch eine Anleitung, wie es zu erreichen ist. Das ist aber auch nicht ihre Intention. Wie Lang in seinem Beitrag verdeutlicht, ist es für ihn wichtiger, „dass diese Methoden weniger unter dem Aspekt einer bestimmten Gestaltungsmethode als vielmehr unter dem Aspekt einer bestimmten Erkenntnismethode beziehungsweise Forschungsmethode betrachtet werden“ (Lang 2020, 120).

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Fineder und Lang einen guten Überblick über das Thema „zwischenmenschliches Design“ bieten, in der Einzelbetrachtung erste Fragestellungen klären und Interesse an einer weiteren Auseinandersetzung wecken. Sie erreichen damit ihr Ziel, die Diskussion über das Thema anzuregen und dessen Relevanz für die Designwissenschaft zu betonen. Der Begriff wird umrahmt statt definiert, indem durch die verschiedenen Lesarten und Beiträge verschiedener Autor:innen Interpretationsmöglichkeiten offengehalten werden.

Annika Bartling & Nele Wellmeyer, April 2022


Martina Fineder, Johannes Lang (Hrsg.)
Zwischenmenschliches Design –
Sozialität und Soziabilität durch Dinge
327 Seiten; Springer VS, 2020
ISBN 978-3-658-302689

References

Burckhardt, Lucius (2004): Design ist unsichtbar. In: Fezer, Jesko / Schmitz, Martin (Hg.): Wer plant die Planung? Architektur, Politik und Mensch. Berlin: Martin Schmitz Verlag, S. 187-199 (gekürzte Fassung). Zuerst erschienen In: Gsöllpointner, Helmuth / Hareiter, Angela / Ortner, Laurids (Hg.) (1981): Design ist unsichtbar, Wien, S. 13-20.

Fineder, Martina / Lang, Johannes (2020): Zwischenmenschliches Design. Eine Einleitung. In: Fineder, Martina / Lang, Johannes (Hg.): Zwischenmenschliches Design. Sozialität und Soziabilität durch Dinge. Wiesbaden: Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, S. 1-23.

Fineder, Martina (2020): Vom gemeinsam genutzten Dingen zu einer kollektiven Ästhetik. In: Fineder, Martina / Lang, Johannes (Hg.): Zwischenmenschliches Design Sozialität und Soziabilität durch Dinge. Wiesbaden: Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, S. 233-259.

Lang, Johannes (2020): Soziales Gestalten für und aus Freiheit. Zur Autonomie im zwischenmenschlichen Design. In: Fineder, Martina / Lang, Johannes (Hg.): Zwischenmenschliches Design. Sozialität und Soziabilität durch Dinge. Wiesbaden: Springer Fachmedien, S. 99-121.

Download & Citation Info

Bartling, Annika & Nele Wellmeyer (2022): Zwischenmenschliches Design | Buchbesprechung. In: DESIGNABILITIES Design Research Journal, (04) 2022. https://tinyurl.com/2p8cn2y5 ISSN 2511-6274