July 15th, 2024

Design in der Krise

Buchbesprechung

In dem 2021 bei Routledge erschienenen Buch “DESIGN IN CRISIS – New Worlds, Philosophies and Practices” versammeln die beiden Herausgeber Tony Fry und Adam Nocek kritische Standpunkte zur Rolle des Designs in unserer gegenwärtigen Welt. Fry als Theoretiker und Autor, der international für seine Arbeit im Bereich nachhaltiges Design bekannt ist. Nocek als Designer, Autor und Denker, dessen Arbeiten sich vorranging entlang der Schnittstellen von Design, Philosophie und Technologie bewegen.

Zu Beginn des Buches wird die schwierige, von Krisen geprägte Ausgangssituation benannt, der wir im Anthropozän gegenüberstehen und der Frage nachgegangen, inwiefern das Design hier als Dreh- und Angelpunkt betrachtet und folglich auch verantwortlich gemacht werden muss und kann. Die Autor:innen gehen dabei sehr deutlich auf die kolonialistischen Hintergründe und das zugrunde liegende eurozentristische Weltbild ein. Dabei wird in Frage gestellt, ob ein “besseres” Design wirklich ein Teil der Lösung jener Krisen sein kann, die es selbst mit verursacht (hat), oder letztlich zu sehr selbst Teil des Problems ist.

Aufgebaut ist das Buch als eine Sammlung von Aufsätzen, in denen prominente Autor:innen aus Designtheorie und -forschung zu Wort kommen und unterschiedliche Positionen und Perspektiven abgebildet werden. Diese widmen sich Themen wie der Post-Development-Theorie, Dekolonialisierung, Black studies, kontinentaler Philosophie, Wissenschaft oder Technologie. Der Sammelband richtet sich dabei vorrangig an Theoretiker:innen und Praktizierende, und all jene, die besorgt darüber sind, wie die Vergangenheit und die Zukunft des Designs mit der immer klarer erkennbaren Komplexität von ökologischer Zerstörung, rassistischer und politischer Gewalt, Kolonialisierung, technologischen Zukünften und Aspekten von Brutalität der modernen westlichen Kultur in Zusammenhang stehen.

Fry und Nocek benennen einleitend die drängenden Probleme der Welt, ihre Ursachen und und legen dar, wieso die Verantwortung für diese auch zu großen Teilen im Design zu
suchen ist. Überdies nennen sie drei große Bedingungen für die einschneidenden, zerstörerischen Veränderungen des Anthropozäns.

Dies zeigen sie anhand der von ihnen als solche bezeichnete “normative Instabilität” im Kontext des “sechsten große Massensterbens” auf. Demnach habe es in der Vergangenheit zwar schon fünf Massensterben auf der Erde gegeben, resultierend aus den instabilen geologischen Bedingungen des Planeten, die sich in extremen Temperaturschwankungen, Eiszeiten und der Erderwärmung zeigten. Das sich nun abzeichnende, sechste Massensterben sei hingegen gesondert zu betrachten. Der große Unterschied bestehe darin, dass es vom Menschen verursacht wurde. Biolog:innen stellen einen extremen und stetig steigenden Verlust von Biodiversität fest. Dieser lässt sich konkret auf die Handlungen des Menschen in seiner Umwelt zurückführen. Abholzung und der Ausstoß von Giftstoffen in die Atmosphäre sind nur zwei Beispiele für die menschengemachte Zerstörung des Planeten. Auch hier liegt ein Teil der Ursachen im Design. Aus welchen Materialien wir Produkte herstellen, wie die Produktionsprozesse aussehen, auch das sind Designentscheidungen.

Das Ignorieren der dabei entstehenden Probleme, die Nicht-Achtung vor dem Planeten, auf dem wir leben, ist eine Entscheidung. Ihr Ergebnis spiegelt sich im Design wider, das seinen Beitrag dazu leistet und geleistet hat, den Planeten unumkehrbar zu verändern und zu zerstören.

Diese Einsicht liefert die Basis für eine Auseinanersetzung mit dem “naturalistischen Künstlichen”. Der Kapitalismus wandle sich, die neue Währung, das neue Problem sei nicht mehr das Kapital in Form von Geld, sondern in Form von Daten und Informationen und stelle uns damit vor neue, noch nicht dagewesene Probleme. Dies sei auch vor dem Hintergrund der Enwicklung so genannter künstlicher Intelligenz und der damit verbundenen Frage zu betrachten, wie wir sie zur Grundlage unseres Menschseins machen.

Diagnostiziert wird eine “zerbrochene “Weltordnung” und das “Ende des Friedens”, was sich an Themen und Phänomenen wie Flucht, einer Unbewohnbarkeit des Planeten, Problemen mit der Lebensmittelversorgung, Konflikten und Kriegen zeige, die bereits jetzt schon akut sind, sich in absehbarer Zeit jedoch noch zuspitzen werden. Design war und ist eine stille und mächtige Kraft des (Neo)Kolonialismus und damit mitverantwortlich für diese vielfältigen Krisen.

Analog zu dieser Kriesenvielfalt, untergliedert in drei Kapitel, gehen die einzelnen Beiträge der Frage nach, worin heute und künftig der Wert oder das Potenzial des Designs liegt und wie es – wenn überhaupt – dazu beitragen kann, Lösungen zu finden.

Im ersten Kapitel (“Postdevelopment, Decoloniality and Plural Futures”) baut Arturo Escobar auf seinen Thesen zu einer pluriversalen Gestaltung auf (“Designing as a Future Praxis for the Healing of the Web of Life”). Cameron Tonkinwises beschäftigt sich mit “Opfern”, die in der Krise nicht funktionieren. Alfredo Gutiérrez nähert sich Fragen der Dekolonialität, während Anne-Marie Willis sich mit dem Entwerfen von Zeit auseinandersetzt.

Das zweite Kapitel nimmt mögliche Formen einer Entkolonisierung des Künstlichen in den Blick. Clive Dilnot vertieft darin sein Interesse an der Wechselwirkung zwischen der natürlichen Welt und der künstlich geschaffenen Umgebung. Das Konzept der “Natürlichkeit” bleibt dabei nicht ausschließlich auf nicht vom Menschen beeinflusste Umgebungen beschränkt, sondern ist auch auf gestaltete Umgebungen anzuwenden, die sich organisch in die menschliche Lebensweise einfügen.

Adam Nocek (“Governmental Designing: On the Transcendental Mediation of the Algorithm”) legt dar, inwiefern Regierungen und staatliche Institutionen zunehmend Algorithmen und technologische Systeme nutzen, um politische Macht auszuüben und gesellschaftliche Prozesse zu beeinflussen. Das sich daraus ergebene – oder darin verstärkte – Machtverhältnis, komm auch in Ahmed Ansaris Beitrag (“Design’s Missing Others and Their Incommensurate Worlds”) zum Ausdruck, der sich mit der häufigen Unfähigkeit des Designs beschäftigt, “die Anderen” wahrzunehmen, geschweigedenn zu berücksichtigen.

Die in diesen beiden Kapiteln formulierten Thesen und Positionen kulminieren in einem mit dem dritten Kapitel formulierten “Abschied von der Disziplin”. Design – als Begriff, als Profession, als Haltung – müsse von Grund auf neu konzipiert werden und bedürfe ein “Unlearning” und “Re-Learning” (Beitrag von Madina Tlostanova). Dies wird auch an der von Damian White diagnostizierten “institutionellen Lücke” in den Critical Design Studies deutlich und birgt, nach Shana Agid“ zugleich jede Menge Potenzial, nicht nur einer Verweigerungshaltung, sondern des Andersmachens.

In seiner Vielschichtigkeit vermag es der Sammelband, den aktuellen multidisziplinären Diskurs pointiert wiederzugeben. Ihr gemeinsamer Nenner mag inzwischen eine Binsenweisheit sein, kann jedoch nicht oft und stark genug betont werden: In der Betrachtung des Zusammenhangs zwischen Design und der gegenwärtigen Krise des Planeten wird deutlich, dass die Ignoranz gegenüber ökologischen, sozialen und kulturellen Zusammenhängen zu verheerenden Folgen für die Umwelt führen kann. Ignorantes Design fördert Ressourcenverschwendung, Umweltverschmutzung und nicht-nachhaltige Praktiken, die die ökologische und soziale Balance gefährden. Angesichts der Dringlichkeit der globalen Umweltkrise ist es unerlässlich, dass Designer:innen eine umfassende Verantwortung übernehmen und ihre Praktiken bewusst reflektieren. Die Herausforderungen, vor denen wir stehen, erfordern einen Paradigmenwechsel im Design. Es ist an der Zeit, den Blick zu schärfen, Wissen zu erweitern und das Bewusstsein für die Wechselwirkungen zwischen Designentscheidungen und planetaren Auswirkungen zu vertiefen. Eine bewusste, nachhaltige Gestaltung darf nicht nur ökologische Faktoren, sondern muss auch die soziale Gerechtigkeit und die kulturelle Sensibilität einbeziehen.

Dies erfordert eine enge Zusammenarbeit zwischen Designer:innen, Forscher:innen, Menschen in Machtpsitionen und der Gesellschaft, um innovative Lösungen zu entwickeln, die auf ökologischer Verantwortung, Diversität und Nachhaltigkeit basieren.

Tony Fry, Adam Nocek (Eds.)
Design in Crisis –
New Worlds, Philosophies and Practices

242 Seiten, Routledge, 2020
ISBN: 978- 0-3678-9854-0

References

Fry,Tony and Adam Nocek (Eds.) (2020): Design in Crisis – New Worlds, Philosophies and Practices, Routledge, London.

Download & Citation Info

Maldener, Clara (2024): Design in der Krise. Buchbesprechung. DESIGNABILITIES Design Research Journal, (07) 2024. https://tinyurl.com/57f8tdem ISSN 2511-6274