January 1st, 2022

Kosmologie und Design

Tom Bieling | Buchbesprechung

Die Allgegenwärtigkeit von Design ist längst nicht mehr von der Hand zu weisen. Alles ist Design. Alle sind Designer:innen. Wenn dem tatsächlich so ist, kann auch die wissenschaftliche Welterschließung davon nicht unberührt bleiben. In seinem jüngsten Buch „Einsteins Marmor – Eine Studie über Kosmologie und Design“ rückt Holger van dem Boom hierfür das Konzept der Kosmologie ins Zentrum des Interesses. Das Studium des Kosmos also, als Erforschung der Struktur, Organisation und Anordnung all dessen was da ist. Es geht dabei weniger darum, dass das Design all die damit verbundenen Fragen allein beantworten muss, sondern dass Aspekte des Designs im interdisziplinären Austausch zwischen unterschiedlichen Forschungs- und Praxisfeldern wie z. B. der Soziologie, der Informatik, der Philosophie oder Physik mitberücksichtigt und verhandelt werden. Es geht also um eine breitere, eine kosmologische Perspektive, aus dem Blickwinkel des Designs.

Im Fokus steht dabei die Dreiecks-Konstellation zwischen Design, Kosmos und Gesellschaft. Denn Designer:innen entwerfen Welten. Gestalterisches Schaffen bleibt somit nicht ohne Konsequenzen für gesellschaftliche Realitäten. Und „jede Gesellschaft projiziert ihr Bild von sich selbst auf eine Kosmologie, deren Reflex wiederum ihre Gestaltungen prägt“ (9).

Design bewegt sich dabei durchaus auf unterschiedlichen Ebenen: Der primär materiellen, also dem im weitesten Sinne „bekannten Universum“ (Erde, Sonne, Mond, Sterne), aber auch auf der Ebene des Unbekannten, des Unerklärlichen, des Unbegreiflichen, des Inneren, des „Außerirdischen“. Zwischen den unterschiedlichen Ebenen gibt es immer wieder Überlappungen, die nicht zuletzt durch gestaltete Dinge und Prozesse – etwa im Design, der Architektur oder den Künsten – zum Ausdruck gebracht werden. Dass zum Beispiel unsere Gestaltungen „seit frühen Menschheitstagen eine Verbindung zum Kosmos suchten, ist […] bei vielen […] Zeugnissen der Architektur, besonders bei den Sakralbauten […] ersichtlich. Die Natur, der Kosmos, sie galten einst – in der Antike, im Mittelalter, besonders aber in der Rennaissance ¬– als absolutes Vorbild für Wohlordnung und Perfektion“ (ebd.).

Mit dem titelgebenden Konzept des „Marmors“ greift van den Boom eine Überlegung Albert Einsteins auf, der das Symmetriekonzept mit eben jenem harten, geäderten Kalkgestein verglich. Dem Marmor als Synonym für abstrakte symmetrische Formen steht das „Holz“ gegenüber, als zellulose, organische, wildwüchsige Form. Das Holz sei so etwas wie der stoffliche Inhalt der Welt, der Marmor die Eleganz ihrer Form. Symmetrischer Marmor gegenüber asymmetrischem Holz. Kontingenter Stoff und nicht-kontingente Form. Aus dieser Gegenüberstellung leite sich die Frage ab, inwiefern das Universum letztlich eher Stofflichkeit, also ein „Material“, oder aber reine Form, also „Geometrie“ ist.

Hier schließt sich der Bogen zum griechischen Kosmos (Ordnung), als Zustand in dem alles nach einem System angeordnet und sortiert ist. Das „schön und geordnet ausgestaltete Weltganze“ als Grundbauplan des Universums.
Spätestens hier werden die Überlegungen Albert Einsteins bedeutsam, dessen allgemeine Relativitätstheorie sich nicht zuletzt auf das Weltall als Ganzes anwenden lässt. Eine Kerneigenschaft des Urknallmodells etwa besteht darin, dass sich das Universum mit der Zeit verändern muss. Ein immergleiches, unveränderliches, stabiles, starres Universum ist demnach nicht möglich. Dies bedeutet jedoch auch, dass ein, sich gemäß der Urknalltheorie entwickelndes, Weltall nicht nur stetig expandieren, sondern auch in sich zusammenstürzen kann.

Diese Überlegungen gilt es mit Blick auf das „ultimative Große und Ganze“, den „Großen Entwurf“ mit zu berücksichtigen, um daraus denkbare, übergeordnete und möglicherweise entscheidende Kriterien, Maßstäbe und Orientierungen neu zu begreifen zu bewerten. Erkenntnis, Ästhetik und Ethik sind demnach untrennbar miteinander verbunden. Die Relevanz der Kosmologie kommt nicht zuletzt dadurch zum Ausdruck, dass sie uns gerade hierauf aufmerksam macht.

„Einsteins Marmor“ liest sich als Vorschlag, die Logik des Designs kosmologisch zu begreifen und die Semantik des Designs im Licht kosmologischer Semantik zu fördern. Das „kosmologische Denken der Physik“ und das heutige „Allzweck Denken“ des Designs könnten sich dabei auf tieferer Ebene als verwandt erweisen, denn beide Sparten, so van den Boom, arbeiten vorwiegend im „Bleisitft- und-Papier-Labor und entwerfen Modelle und Konstruktionen, über die wir uns die Welt erschließen“.

Im Buch geht es dabei weniger um die „Anwendungen“ der Physik, als vielmehr um die Erschließung und Nutzung ihrer Semantik in der Semantik des Designs. Die Studie über die Kosmologie und Design ist somit eine Abhandlung über die Architektur der Relativität, die Un-/Moral der Dinge und über Design als Substitut der Sinne, in dem es um nichts weniger geht als um eine Zukunftsvision für ein anderes (Design-) Denken.

Tom Bieling, Januar 2022


Holger van den Boom
Einsteins Marmor
Eine Studie über Kosmologie und Design
Deutsch, 420 Seiten, Logos Verlag, 2021
ISBN 978-3-8325-5284-8

References

Download & Citation Info

Citation Information: Bieling, Tom (2022): Kosmologie und Design. Buchbesprechung. In: DESIGNABILITIES Design Research Journal, (1) 2022. https://tinyurl.com/n3mtjtu5 ISSN 2511-6274