October 2nd, 2023

Die Politik des Materials – Transparenz und Intimität

Wo liegen die Grenzen des Designs bei der Bewältigung politischer Herausforderungen? Vielleicht sollten wir uns zunächst fragen: Welche Politik? Die Politik des kleinen P“ des alltäglichen, ausgehandelten, gemeinsam genutzten Raums, wie es die griechische Wurzel des Wortes nahelegt (politika - Angelegenheiten der Stadt; oder politikos - sich auf die Bürger beziehend)? Bei dieser alltäglichen zwischenmenschlichen Politik im öffentlichen Raum geht es um grundlegend materielle Fragen wie das Recht auf Anwesenheit und Sichtbarkeit im städtischen Raum und auf praktische Einflussnahme darauf. Aber was ist mit der “großen P”-Politik [1] der Parteien, der Gesetzgebung und der Bürokratie, die weniger unmittelbar materiell ist? Offensichtlich gibt es keine klare Grenze zwischen den beiden, und so möchte ich mit der Betrachtung eines Fehlschlags im Design für Politik beginnen, um Fragen für eine materiellere und ästhetischere Diskussion über Design für Politik zu eröffnen.

1999 schlossen Foster and Partners die Renovierung des Reichstags in Berlin ab, einschließlich einer Glaskuppel über dem Plenarsaal, “die es den Menschen ermöglicht, symbolisch über die Köpfe ihrer Vertreter zu steigen”.[2] Dies ist nur das jüngste in einer Reihe von deutschen Parlamentsgebäuden der Nachkriegszeit, die auf der Grundlage dessen errichtet wurden, was Deborah Barnstone eine “Ideologie der Transparenz” nennt, die von futuristischen Designer:innen aufgestellt und sowohl in der Architektur als auch in der Politik fast unkritisch als materielle Verkörperung des Ideals einer rechenschaftspflichtigen, zugänglichen Regierung übernommen wurde (Barnstone 2004). Anstatt jedoch ein System für eine transparente Demokratie zu schaffen, nimmt dieser Entwurf die wörtliche Bedeutung des Wortes “transparent” und sucht nach seiner materiellen Entsprechung in Glas. Dabei wird eine materielle Tatsache - die Fähigkeit von Glas, ein vollständiges Bild zu vermitteln - mit einer Art und Weise, Dinge zu tun, verwechselt. Wenn Transparenz in der Politik nur insofern Bedeutung hat, als man sehen kann, was die Politiker tun, dann ist die Glaskuppel im Rahmen ihres Rahmens erfolgreich. Wenn sie, wie wir hoffen, ein Instrument sein soll, um das politische System durch Beteiligung zur Rechenschaft zu ziehen, scheitert sie. Die Art von Transparenz, die sie schafft, ist dieselbe, die im Theater zwischen Bühne und Publikum hergestellt wird: Information und Affekt gehen in eine Richtung; die Öffentlichkeit ist eher eine Gruppe von Augen als eine Gruppe von Gesprächspartner:innen. Da wir einen Begriff für Information, die durch Material geleitet wird, übernommen haben, um uns der Art und Weise anzunähern, in der Informationen zwischen politischen Akteuren und der Öffentlichkeit weitergegeben werden, konnte die Darstellung der Demokratie in Glas zuweilen den Prozess der Demokratie selbst verdrängen.

Der Campo de Cebada in Madrid ist zu einem der bekanntesten Orte für Basisdemokratie geworden. Im Anschluss an eine Reihe von Versammlungen, in denen über die Zukunft des leerstehenden, der Stadt gehörenden öffentlichen Geländes debattiert wurde, wurden leichte Unterstände und Tribünen aus recyceltem Holz gebaut, so dass der Platz für Peer-to-Peer-Bildung, Performances und lokale Demokratie genutzt werden kann. Auf der Grundlage der Notwendigkeit für und von seinen Nutzer:innen gebaut, scheint es auf den ersten Blick der Inbegriff des materiellen Funktionalismus zu sein. Warum aber ist seine Ästhetik so unverkennbar? Warum sind Sperrholz und Holzbretter so ausdrucksstark für das (kleine) Politische? Es gibt offensichtliche pragmatische Gründe: Sie sind billig und langlebig. Aber auch die Art und Weise, wie man Dinge tut, ist in diesen Materialien verschlüsselt. Könnten ergonomische Eigenschaften von Material politisch werden? Nehmen wir das Gewicht: Wie viele Menschen und/oder Nichtmenschen braucht man, um eine Glasplatte im Vergleich zu einem Holzbrett zu heben? Lagen und Gerüste können von Nichtfachleuten manipuliert werden, was uns eine “DIY”-Ethik/Ästhetik/Politik beschert. Selbst in dieser scheinbar pragmatischen Beziehung zu den Werkstoffen gibt es eine Verschmelzung der Sprache, die das Funktionale und das Symbolische miteinander vermischt. Politische Basis- oder Do-it-yourself-Organisationen verwenden buchstäblich die gleichen Werkzeuge und Materialien wie Heimwerker, indem sie sich eine materielle Arbeitsweise aneignen und damit eine symbolische Ästhetik der Intimität des häuslichen Bereichs übernehmen.

Holz ist intim. Es dient dazu, eine Hütte zu bauen, nicht ein Parlament. Es gehört zur Welt der Gemeinschaftlichkeit und des physischen Affekts, die Hannah Arendt klar von der Welt des Politischen unterscheidet. (Arendt 1987) Aber Holz enthält auch Dinge in sich und hält sie fest: Es überträgt keine Informationen. Es hält Affekte auf der Ebene des Intimen und Unmittelbaren fest. Glas ist mit den Technologien der Massenmedien verwoben. Es erlaubt, dass vermittelte Affekte durch es hindurchgehen, während es die Körper auseinander hält. So wie der Reichstag bei der politischen Transparenz an seiner buchstäblich symbolischen Interpretation scheitert, gelingt ihm anderes, wie die Kommunikation von Macht aus einem Zentrum heraus. Nur weil seine Symbolik nicht mit seiner Funktion übereinstimmt, heißt das nicht, dass wir seiner Funktionalität keine Beachtung schenken sollten. Umgekehrt verhält es sich mit dem Holz auf dem Campo de Cebada: Es ist hocheffektiv, wenn es darum geht, DIY-Politik zu machen, wirtschaftlich und ergonomisch, aber dabei symbolisiert es eine Gemeinschaftlichkeit und eine Unmittelbarkeit, die es in einen ästhetischen Gegensatz zur Politik stellt. Das mag ja das Ziel sein, aber wie kann sie sich dann vergrößern, expandieren und als Bewegung wachsen, während sie an den materiellen Symbolen festhält, die sie für sich selbst geschaffen hat? Schließt Holz das Politische symbolisch in den Bereich des Intimen ein, den die Eingeweihten dieses Bereichs miteinander teilen, und schließt es eine breitere Öffentlichkeit aus?

[1] Im Englischen sei hier die Großschreibung zur besseren Unterscheidung zu beachten.
[2] http://www.fosterandpartners.com/projects/reichstag-neues-deutsches-parlament/

Übersetzung: Tom Bieling. Erstveröffentlichung im Original (Englisch) in “Designing Politics: The Limits of Design”, Theatrum Mundi - LSE Cities - Fondation Maison des sciences de l’homme, 2016.

References

Arendt, Hannah (1987): "The Public Realm: The Common," in The Public Face of Architecture, ed. Mark Lilla und Nathan Glazer: London & New York: The Free Press, 4-12.

Barnstone, Deborah Ascher (2004): The Transparent State: Architecture and Politics in Postwar Germany, Routledge.

Download & Citation Info

Bingham-Hall, John (2023): Die Politik des Materials – Transparenz und Intimität. DESIGNABILITIES Design Research Journal, (1o) 2023 https://tinyurl.com/nw7y8kcj ISSN 2511-627