December 8th, 2025
Alltagsmythen am Runden Tisch
Der Frage, wie sich Alltagsmythen heute lesen lassen, widmete sich Hans Leo Höger jüngst in einem an der unibz geführten Interview. Als Herausgeber des Sammelbands Updating Roland Barthes’ Mythologies legt er dar, wie gegenwärtig Roland Barthes’ Blick auf Alltagsmythen geblieben ist – 45 Jahre nach seinem Tod. Höger betont dabei, dass Barthes ein neugieriger „Leser der Welt“ gewesen sei, der ohne akademische Schwere die verborgenen Bedeutungen alltäglicher Dinge freilegte. Dieses Prinzip überträgt der neue Band der Design Meanings Reihe in die Gegenwart: Mehr als 30 Autorinnen und Autoren aus Design, Architektur, Kunst und Kommunikationspraxis analysieren heutige Mythen – von Trinkflaschen und Schweizer Taschenmessern über Instagram und ChatGPT bis hin zu Nachhaltigkeit und Demokratie.
Im Gespräch erklärt Höger, dass sich zwar viele Mythen durch Digitalisierung, Streamingkultur oder algorithmische Strukturen verändert haben, die Freude am genauen Hinsehen jedoch geblieben ist. Alltagsgegenstände seien Träger von Wissen und Qualität – nicht nur in Bezug auf Material und Funktion, sondern auch hinsichtlich ihrer kulturellen Bedeutung. Die Beiträge des Bandes zeigten deshalb unterschiedliche Perspektiven darauf, wie Gestaltung Wissen vermittelt und gesellschaftliche Zusammenhänge sichtbar macht.
Kritisch äußert sich Höger zur heutigen digitalen Kommunikation, die Aufmerksamkeit und Tiefe der Wahrnehmung unter Druck setze. Die Essays im Sammelband verstehen sich als Einladung zur Verlangsamung: Sie eröffnen neue Blickwinkel, etwa durch die Beschreibung der Alltagsräume eines Menschen im Rollstuhl, und fördern eine bewusstere Auseinandersetzung mit scheinbar Selbstverständlichem. Interdisziplinarität sei dabei unverzichtbar, da Gestaltung immer an Schnittstellen von Design, Architektur, Kommunikation, Soziologie und Psychologie operiere.
Trotz digitaler Beschleunigung bleibt für Höger die Faszination an den kleinen Dingen und analogen Erfahrungen ungebrochen: In ihnen zeige sich eine unmittelbare Beziehung zur Welt, die weder gefiltert noch vermittelt sei. Diese aufmerksame, persönliche Form der Beobachtung – schon bei Barthes zentral – sei heute wichtiger denn je, um Alltagsphänomene nicht nur zu analysieren, sondern auch emotional und kulturell zu begreifen.
Am 9. Dezember (18 Uhr) wird das Buch in der Universitätsbibliothek am unibz Campus Bozen Zentrum vorgestellt. Im Anschluss findet ein Runder Tisch statt. Mit dabei: Gesine Gold (Dipl.-Kommunikationsdesignerin mit Schwerpunkt strategischer Luxusmarken-Entwicklung und -Betreuung, Hamburg), Ursula Schnitzer (Kunsthistorikerin, Ausstellungskuratorin, Autorin, Weberin, Meran), Renato Troncon (Professor für Ästhetik an der Universität Trient, Begründer und Mitherausgeber der wissenschaftlichen Buchreihe “Design Meanings”), Kuno Prey (Produktdesigner, Ausstellungskurator, Buchautor, Gründungsdekan der Fakultät für Design und Künste an der Freien Universität Bozen) sowie Hans Leo Höger (Herausgeber des Buches).
