December 29th, 2021

Magie und Hexenwerk – Design im Nimbus des Unerklärlichen und Unergründbaren

Hört man den Begriff „Magie“, so denkt man meistens an Geschichten aus „Harry Potter“. Doch was genau bedeutet Magie eigentlich und in welchem Zusammenhang steht diese zum Design?

Betrachten wir zunächst die Definition: Der Duden definiert Magie als eine „geheime Kunst, die sich übersinnliche Kräfte dienstbar zu machen sucht.“ (o. V. Magie) Im Collins-Wörterbuch wird zudem konkretisiert, dass für die Magie die Verwendung von Zaubersprüchen und Ritualen notwendig ist, um Ereignisse mithilfe von natürlichen oder übernatürlichen Kräften zu kontrollieren (o. V. Magic). Hierfür ist der Einsatz von Willenskraft erforderlich, um Veränderungen in der realen Welt zu bewirken. Dies geschieht durch die Manipulation der Materie. Wie Zauberei, erfordert auch die Kunst viel Genauigkeit und Geschicklichkeit. Dabei nutzen Künstler verschiedene Techniken (wie Zeichnen, Malen, Performance), um das ursprüngliche Medium (die Natur) zu verändern, woraus etwas Neues (das Übernatürliche) geschaffen wird.

Die zuvor angesprochenen übernatürlichen Kräfte treten vor und während des Gestaltungsprozesses im Rahmen der Ideenentwicklung auf. Dieser Prozess, als Schlüsselaspekt der Magie, wird als Transformation bezeichnet. Im Zusammenspiel chemischer Elemente (z. B. Farbe, Pigment, Öl etc.) und geheimen, übernatürlichen Ideen, die im Kopf des Künstlers entstehen, wird ein Kunstwerk kreiert. Die künstlerischen Techniken des Auftragens vom Medium auf die Oberfläche (z. B. Leinwand) ähneln Ritualen, wie man sie in der Magie findet. Die individuellen Ideen und die persönliche Arbeitsweise unterscheiden Künstler und deren Werke voneinander (Davison 2019).

Für den künstlerischen Schaffensprozess spielen die Kreativität und das Unterbewusstsein eine entscheidende Rolle. Denken ist ein überwiegend unterbewusster Prozess, der durch Impulse von außen angeregt wird (Schwarz 2010). Während der Gestaltung vollziehen sich viele unterbewusste Prozesse, die nicht immer planbar und vorhersehbar sind. Jeder Gestalter verfügt über eine individuelle, einzigartige Kreativität und Fantasie und findet Inspiration auf eigene Art und Weise. Manche suchen sie in der Natur und der Umwelt. Andere suchen mögliche Erklärungen im Glauben oder in der Esoterik.

Wie die Ideen und die Magie, gibt es viele weitere Aspekte im Leben, die schwer greifbar sind. Ein Beispiel hierfür ist die Anthroposophie, die als spirituelle und esoterische Weltanschauung versucht, die Menschheit und ihre Entwicklung übersinnlich zu verstehen (Schaffer). Durch Selbstentwicklung und Meditation kann die geistige Welt erschlossen werden (Hardorp/Mayer).
Wie die Welt wahrgenommen wird, ist schließlich individuell und subjektiv und hängt von den persönlichen Erfahrungen, vom Charakter und der Weltanschauung jedes Menschen ab.

Wie wird der kreative Prozess im Design von der Wissenschaft beschrieben?

Der Begriff Kreativität stammt von dem lateinischen Wort creāre und bedeutet so viel wie ‘erschaffen, erzeugen’ (o. V. Kreativität). Er ist in seiner reinen Form schon seit dem 16. Jahrhundert bekannt (Peters 2004).

In den 1960er Jahren wurde erstmals versucht, den kreativen Prozess in Modelle zu übersetzen und auch für fachfremde Menschen verständlich zu gestalten. Dabei versuchte man durch Aneinanderreihung von bestimmten Vorgängen im menschlichen Denkprozess ein allgemeingültiges Modell zu entwickeln. Dieses Vorhaben scheiterte jedoch, da man für den eigentlichen kreativen Prozess keine wissenschaftliche Begründung fand (vgl. ebd. 23).

Im Jahr 2016 entwickelten Studenten der TU Delft ein eigenes Modell, basierend auf der Reflective Practitioner Theorie. Diese Lern- und Arbeitsmethodik wurde in den 80er Jahren von Donald Schön entwickelt. Das Modell geht davon aus, dass der gesamte kreative Prozess auf der Wechselwirkung von Wissen und Erfahrungen sowie ständiger Selbstreflexion beruht. Der Designer wird hier zum Practitioner, der sein Wissen intuitiv und auf der Basis seiner Erfahrungen einsetzt. Der Prozess wird in verschiedene Phasen unterteilt und als geschlossenes System beschrieben. In der Naming Phase werden Fakten über die Problemstellung gesammelt. Daraufhin wird die Problemstellung eingegrenzt (Framing Phase), eine bestimmte Lösung anvisiert und sich angenähert (Moving Phase). In der letzten Phase reflektiert der Practitioner die gemachten Erfahrungen. Dieses Modell ist ein weiterer Schritt, um den realen Denkprozess darzustellen, liefert aber immer noch keine Antwort zum kreativen Vorgang im Gehirn (vgl. ebd. 24; vgl. o. V. Donald Schön).

Seit rund 40 Jahren beschäftigt sich ein anderer Zweig der Wissenschaft ebenfalls mit der Aufschlüsselung des Begriffs – die Kreativitätsforschung – doch auch sie kann keine prägnante Erklärung bieten (vgl. Peters 2004, 25). „Da meist nur traditionelle psychologische Ansätze Verwendung fanden, tragen die Fortschritte auf dem Gebiet bislang (…) nur wenig zu einer Präzisierung des Kreativitätsprozesses bei und begünstigen Mythen über die Rolle von Intuition, Inspiration und Unterbewusstsein.“ (ebd. 28)

Auch die Gestaltungspsychologie versuchte sich an der modellhaften Darstellung von Denkprozessen. Das bekannteste ist das 4-Phasen-Modell. Es basiert auf Beobachtungen des Mathematikers Henri Poincaré und des Physikers Hermann von Helmholtz. Die Phasen werden wie folgt beschrieben:

Die Präparationsphase ist die Sammlung und Aufbereitung von relevantem Wissen. Danach folgt die Inkubationsphase, das Ausreifen der Information zu einem Lösungsansatz oder einer These. Die Illuminationsphase ist die Reflexion über das gesammelte Wissen. Zuletzt kommt die Verifikationsphase. Sie befasst sich mit der Gegenüberstellung von Problem und Lösung sowie der Umsetzung.

Auch dieser Forschungszweig kann keinen allgemeingültigen Bewer-tungsansatz liefern (vgl. ebd. 30; vgl. o. V. Phasen des kreativen Prozesses). Das Problem der Forschung ist Folgendes: Der Designprozess bzw. kreative Prozess wird in den meisten Modellen als Wechselwirkung und Neuverknüpfung von vorhandenem Wissen betrachtet. Doch jeder Mensch hat ein anderes Wissensnetz, Erfahrungen, Prägungen und Empfindungen, was es somit schwierig macht, ein klares Modell aufzustellen (vgl. Peters 2004, 31).

Der kreative Prozess ist magisch in dem Sinne, dass er auch weiterhin unergründbar bleibt. Die Zauberformel, die ihn sichtbar macht, muss erst noch gefunden werden. Was kann die Designwissenschaft leisten, um dieses Problem zu lösen? Durch die Kombination aus erlangtem Wissen unterschiedlicher Wissenschaftsgebiete, Erfahrungen und dem Expertenwissen der Practitioner (Designer, Künstler oder Zauberer) sowie dem kontinuierlichen Austausch, Reflexion und Anwendung von Forschung, wird es gelingen der Beschreibung dieses Prozesses so nah wie möglich zu kommen. Doch bleibt erstmal weiterhin ein Teil davon in jedem von uns verborgen.

Melissa Dettmar & Liliya Sheina, Dezember 2021

(Hinweis der Autorinnen: Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird in diesem Artikel bei personenbezogenen Hauptwörtern die männliche Form verwendet. Entsprechende Begriffe gelten im Sinne der Gleichbehandlung grundsätzlich für alle Geschlechter.)

References

Davison, Nadia: Art as Magic, Medium, 2019, https://medium.com/the-molten-mind-space/art-as-magic-744915d925bb [19.12.21].

Hardorp, Agnes / Mayer, Thomas: Anthroposophische Meditation,

Meditationsschulungen, o. J., https://www.anthroposophische-meditation.de/ [19.12.21].

Peters, Sascha: Modell zur Beschreibung der kreativen Prozesse im Design unter Berücksichtigung der ingenieurtechnischen Semantik, Dissertation, Designwissenschaften, 2004, https://core.ac.uk/download/pdf/33798419.pdf [18.12.21].

Schaffer, Wolfgang (Hrsg.): Was ist Anthroposophie?, Allgemeine Anthroposophische Gesellschaft, o. J.,

https://www.anthroposophie.or.at/anthroposophie/ [19.12.21].

Schwarz, Friedhelm: Verstehen Sie Ihren Verstand? Gehirnforschung für den Alltag, Haufe Lexware, Freiburg, 2010.

o. V.: Donald Schön, Wikipedia, 2019,

https://de.wikipedia.org/wiki/Donald_Schön [18.12.21].

o. V.: Kreativität, Wikipedia, 2021,

https://de.wikipedia.org/wiki/Kreativität#EtymologieundSprachgebrauch [18.12.21].

o. V.: Ma¬gie, Duden, o. J., https://www.duden.de/rechtschreibung/Magie [18.12.21].

o. V.: Magic, Collins Dictionary, o. J.,

https://www.collinsdictionary.com/de/worterbuch/englisch/magic [18.12.21].

o. V.: Phasen des kreativen Prozesses, Wikipedia, 2021,

https://de.wikipedia.org/wiki/Phasen_des_kreativen_Prozesses [18.12.21].

Download & Citation Info

Citation Information: Dettmar, Melissa & Lilya Sheina (2021): Magie und Hexenwerk – Design im Nimbus des Unerklärlichen und Unergründbaren. In: DESIGNABILITIES Design Research Journal, (12) 2021. https://tinyurl.com/4vykh7mt ISSN 2511-6274