June 16th, 2025

Planetare Zukünfte zwischen Spekulation und Kontrolle

Die Vorstellung von „Zukunft“ ist zutiefst ambivalent. Sie oszilliert zwischen Hoffnungen, Ängsten und der Sehnsucht nach Kontrolle, zugleich aber auch zwischen spekulativen Entwürfen und technologischer Machbarkeit. Insbesondere wenn wir von planetaren Zukünften sprechen, weitet sich diese Ambivalenz zu einer existenziellen Herausforderung aus, die weit über individuelle Lebensentwürfe hinausweist. Die Erde, verstanden als ein komplexes, sich selbst regulierendes System, rückt ins Zentrum eines globalen Denkens, das neue Formen des Denkens, Handelns und Erinnerns verlangt.

Im Zeitalter des Anthropozäns, in dem menschliches Handeln maßgeblich die geologischen Prozesse unseres Planeten prägt, wird Zukunft nicht mehr allein als linearer Fortschritt gedacht, sondern als ein Kontinuum von Möglichkeitsräumen – geprägt von Unsicherheit und der dringenden Notwendigkeit zur Kontrolle. Die planetare Zukunft erscheint zugleich als Spekulation und als Feld technologischer Interventionen. Auf der einen Seite entwerfen Wissenschaftler, Philosophinnen und Künstler:innen visionäre Szenarien, die vom optimistischen Bild einer nachhaltigen „Earth Community“ bis hin zu dystopischen Apokalypsen reichen. Auf der anderen Seite versuchen politische und ökonomische Akteure, durch Regulierung, Überwachung und technologische Innovationen eine planbare und beherrschbare Zukunft zu gestalten.

Planetare Zukünfte können jedoch insbesondere dann verantwortungsvoll gestaltet werden, wenn sie sich einer Erinnerungskultur verpflichtet fühlen, die die Krisen der Vergangenheit reflektiert und die plurale Vielfalt menschlicher Existenz anerkennt.(1) Ohne ein solches Erinnern droht die Zukunft in einem undifferenzierten, technokratischen Kontrolldenken aufzugehen, das ökologische, soziale und kulturelle Komplexitäten ausblendet.

Die planetare Zukunft ist somit ein Ort des Spannungsfeldes zwischen der humanen Fähigkeit zur Spekulation – zum Träumen, Denken und Erfinden – und dem Wunsch nach Kontrolle, Ordnung und Sicherheit. Dabei wird deutlich, dass Kontrolle nicht nur ein instrumentelles Verhältnis zur Natur ist, sondern auch ein soziales und politisches Phänomen, das Machtverhältnisse reproduziert oder transformiert. Die Herausforderung besteht darin, die planetare Zukunft als einen offenen Raum zu begreifen, der nicht durch deterministische Prognosen oder technologische Utopien verengt wird, sondern als eine plurale Dimension, in der unterschiedliche Akteur:innen, Kulturen und Wissensformen in einen Dialog treten.

Zukunftsszenarien sind somit immer auch kulturelle Praktiken des Erinnerns und des Aushandelns von Identität, Ethik und Verantwortung. Sie erinnern uns daran, dass der Planet nicht nur ein geophysikalischer Raum ist, sondern ein symbolischer Ort, der durch Narrative, Bilder und Praktiken mit Bedeutung aufgeladen wird. In diesem Sinne ist die Frage nach planetaren Zukünften auch eine Frage nach der Gestaltung kollektiver Vorstellungen von Gerechtigkeit, Nachhaltigkeit und Zugehörigkeit – und nach dem Mut, spekulative Visionen zu wagen, die jenseits von Kontrolle und Beherrschung neue Horizonte eröffnen.

Die Ausstellung im MGGU zeigt, dass Zukünfte nicht festgeschrieben sind, sondern ein dynamisches Feld bilden, das wir gemeinsam gestalten können. Durch Modelle, Szenarien und zukunftsweisende Projekte bietet die Ausstellung die Möglichkeit, sich aktiv mit visionären und politischen Ansätzen zur Gestaltung von Zukünften auseinanderzusetzen und unsere Rolle in der Welt neu zu überdenken.

Am 16.6.25 lädt das Lehrgebiet Designtheorie (Leitung: Tom Bieling) der HfG Offenbach zur Führung und gemeinsamem Gespräch mit dem Kurator Dr. Tim Pickartz (MGGU). Die Exkursion ist Teil des Seminars ‘Im Auge des Sturms – Wellenbewegungen des öko-sozialen Wandels im Design’ (Prof. Dr. Tom Bieling).

References

(1) Hier ließe sich mit Aleida Assmann argumentieren, die in ihren Arbeiten immer wieder die Bedeutung des kulturellen Gedächtnisses als Fundament für das zukunftsfähige Handeln hervorhebt. (Vgl. Assmann 2013)

Literatur
Assmann, Aleida (2013): Das neue Unbehagen an der Erinnerungskultur. Eine Intervention. München: C.H. Beck.