March 12th, 2022

Ist Design unsichtbar? Erinnerungen an Lucius Burckhardt

Mit der Spaziergangswissenschaft („Promenadologie“) als von ihm maßgeblich entwickelter, kulturwissenschaftlicher und ästhetischer Methode zur bewusste(re)n Umweltwahrnehmung, wurde Lucius Burckhardt weit über sein ursprüngliches Betätigungsfeld, der Soziologie, hinaus bekannt. Bis heute üben die theoretischen Überlegungen und praktischen Interventionen Burckhardts eine starke Anziehungskraft auf nachwachsende Generationen des Designs, der Architektur oder der Städteplanung aus, die mit Schlagbegriffen wie „Design ist unsichtbar“ oder „Wer plant die Planung“ längst Einzug in deren Vokabular gefunden haben. Am 12. März wäre Lucius Burckhardt 97 Jahre alt geworden.

Die Thesen und Lehren des Bauhauses berufen sich zu weiten Teilen auf die Funktion als das Kriterium für gutes Design. Lucius Burckhardts Formel „Design ist unsichtbar“ (Burckhardt 1980, 13) bildet eine dazu gegensätzliche Bewegung. Laut Lucius Burckhardt erstreckt sich der Designprozess bei vielen Designer:innen ausschließlich über die akademische Betrachtung, dem Sichtbaren. Hierbei handele es sich oftmals um einen sehr „technokratischen“ Ansatz (ebd., 21). In seinem wegweisenden Artikel Design ist unsichtbar (1980) plädiert er jedoch für ein Zusammenspiel des Alltäglichen und Akademischen, um die gestalteten Gegenstände in einem größeren Kontext einzuordnen.

Hier führt Burckhardt das Beispiel der Nacht an, in welchem diese als menschliches Konstrukt dargestellt wird. „Die Nacht ist gemacht. […] Die Nacht also, die ursprünglich wohl einmal etwas mit Dunkelheit zu tun hatte, ist ein menschengemachtes Gebilde, bestehend aus Öffnungszeiten, Tarifen, Fahrplänen, Gewohnheiten und auch aus Straßenlampen“ (ebd., 16). Dem Sichtbaren ist die Nacht als solches zuzuschreiben, in der den Menschen die Gewohnheit antrainiert wurde, schlafen zu müssen. Dies ist das Resultat eines von Menschen entworfenen Systems, basierend auf Geschichte und Traditionen. Dem Unsichtbaren sind die in diesem Kontext zu betrachtenden Öffnungszeiten, Tarifen, Fahrplänen etc. zugehörig.
Folglich urteilt Burckhardt, dass somit die Umgebungssituation der Gegenstände, das Unsichtbare, nicht in den Gestaltungsprozess mit einbezogen wird und das Gestaltete sich nicht ins System einfügt.

Anstatt die Umwelt in einzelne Objekte einzuteilen, schlägt Burckhardt vor, sie in Beziehungsräume oder Systeme zu untergliedern. Es sollen zum Beispiel nicht nur die sichtbaren Dinge, wie Möbel oder Architektur eines Krankenhauses, designt werden, sondern auch die Zusammenhänge zwischenmenschlicher Systeme mit Ärzt:innen, Pfleger:innen und Patient:innen bedacht werden. Diese sichtbaren Produkte sind somit Teil eines unsichtbaren Systems. (ebd., 14)

Designer:innen üben sowohl im sichtbaren, als auch im unsichtbaren Design ihren Einfluss aus und haben somit im gesamten Kontext eine hohe Entscheidungsgewalt. In der Vergangenheit war es zumeist so, dass zweckmäßige Objekte entworfen wurden, die zusätzlich ästhetische Aspekte an sich hatten. Alle technischen Objekte seien neutral und nur die Konsument:innen, die sie missbrauchen, können sie korruptieren. (ebd., 19)

Um zukünftig sicherzustellen, dass eine Gestaltung das ihr zugrunde liegende System miteinbezieht, müsse der Entwurf durch einen reziproken Austausch entstehen. Produkte seien für die für Verbraucher:innen nicht neutral, sondern entweder gesellschaftsverhindernd oder im Optimalfall gesellschaftsfördernd (ebd., 20). Sie können aber auch negativ konnotiert sein, wenn sie Menschen abhängig von Systemen machen oder sie ausnutzen (ebd., 23).


Abb 1 Die Kontraproduktivität der Zentralheizung

Zudem gebe es den Aspekt der Kontraproduktivität. Wenn neue Entwürfe die Art, wie das Produkt benutzt wird, beeinflussen, so sollen diese Veränderungen wiederum neue Entwürfe hervorbringen. Vorteilhaft seien besonders Objekte, die sich ohne Umgestaltung des Systems in dieses Integrieren können. (ebd., 22)

Burckhardt fordert eine Art der Gestaltung, in welcher nicht nur die Funktion und Ästhetik eines Produktes entscheidend sind, sondern dessen Auswirkungen auf unsere Lebensweisen und Gesellschaft ebenfalls diskutiert werden. Diese Herangehensweise bezeichnet er als „Soziodesign“ (ebd., 22).

Die Überlegungen Burckhardts haben Spuren hinterlassen. Zugleich scheint es heute wichtiger denn je, dass Designer:innen ihre Designprozesse überdenken und im Sinne ganzheitlicher Systeme betrachten, die gleichermaßen sichtbare und unsichtbare Teile umfassen, welche es zu koordinieren gilt. Der Wandel der Zeit ist zugleich Resultat und Projekt eines „Soziodesigns“.

Jana Knoblach & Lara Simon, März 2021

References

Literatur
Burckhardt, Lucius (1980). Design ist unsichtbar. Erschienen in Design ist unsichtbar. Entwurf, Gesellschaft & Pädagogik. Martin Schmitz Verlag, Berlin 2012.

Abbildungen
Abb. 1 Die Kontraproduktivität der Zentralheizung (Eigene Darstellung nach Burckhardt 1980, S.20).

Download & Citation Info

Knoblauch, Jana & Lara Simon (2022): Ist Design unsichtbar? Erinnerungen an Lucius Burckhardt. DESIGNABILITIES Design Research Journal, (03) 2022. https://tinyurl.com/bddf7vbf ISSN 2511-6274