April 1st, 2022

Zur Kritik kritischen Designs

Exemplarisch anhand des Buches „Speculative Everything“ von Anthony Dunne & Fiona Raby

Die Designer haben die Welt nur unterschiedlich gestaltet, es geht aber darum sie zu verändern.

Unter sozial engagierten und gesellschaftskritischen Designern kursieren allerhand verkehrte, sprich wissenschaftlich unkorrekte, Vorstellungen darüber, was die Welt ist und wie sie man sie verändert. Um mit diesen Fehlurteilen aufzuräumen, hilft es, die prinzipiellen Behauptungen sogenannter „critical designer“ einmal näher zu betrachten.
In diesem kurzen Text wird dies anhand einiger Zitate aus dem Buch „Speculative Everything“ von Anthony Dunne & Fiona Raby getan. Diese Kritik kann insofern als konstruktiv bezeichnet werden, als dass sie darauf abzielt, zu einem besseren Verständnis der gesellschaftlichen Verhältnisse beizutragen, die von den Autoren zu Recht kritisiert werden. Und hoffentlich regt sie im nächsten Schritt dazu an, aus der richtigen Theorie über die Gesellschaft die notwendigen praktischen Schlüsse zu ihrer Veränderung ziehen.

Kritik – was soll das?
Critique is not necessarily negative; it can also be a gentle refusal, a turning away from what exists, a longing, wishful thinking, a desire, and even a dream.(S. 34)

Jede Kritik ist negativ, weil sie, wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß, immer eine Negation ihres Gegenstands darstellt. Bereits ihr Ausgangspunkt ist die Ablehnung einer objektiven Tatsache oder einer theoretischen Behauptung. Wissenschaftliche Gesellschaftskritik, beinhaltet die Erklärung der gesellschaftlichen Verhältnisse, die kritisiert werden, und begründet damit warum eine Uneinigkeit besteht. Sie ist nicht bloß „sanfte Zurückweisung“ des Bestehenden, sondern das begründete Urteil über einen Zustand, mit dem man nicht einverstanden ist. Und als solche beinhaltet sie bereits den Übergang zur Handlung, dazu ihren Gegenstand zu ändern, so dass er mit der eigenen Vorstellung übereinstimmt. Insofern ist sie auch keine „Sehnsucht, Wunschdenken, Verlangen, und sogar ein Traum“. Wissenschaftliche Gesellschaftskritik ist die theorethische Anleitung zur praktischen Veränderung der Gesellschaft.

Idee > Welt?
The way the world is follows on from how we think; the ideas inside our heads shape the world out there. If our values, mental models, and ethics change, then the world that flows from that worldview will be different, and we hope better. (S. 161)

An diesem Punkt merkt man deutlich, von welchem Subjektivismus und Idealismus die Überlegungen der Autoren geprägt sind. Ausgehend von ihrer gesellschaftlichen Funktion als Designer im Produktionsprozess, die mit ihren Ideen tatsächlich oberflächlich die Welt „gestalten“, betrachten sie die Welt als Ganzes und machen „die Ideen“ zum Motor der Geschichte.

Natürlich beinflußt unser Denken die Realität, in dem Sinne das unser Denken unser Handeln leitet und wir mit unserem Handeln die Welt um uns herum verändern. Aber es ist die einem Gedanken folgende, tatsächliche Handlung, die die Ursache materieller Veränderung ist und nicht der reine Gedanke. Und vor allem: woher kommt unsere Art und Weise zu Denken, unsere Weltanschauung?

Sie existiert nicht losgelöst von der echten Welt, sondern hat ihren Ausgang in ihr. Insofern könnte man den Satz umkehren und sagen: Wie wir Denken, entspringt der Art wie die Welt ist. In dem Widerspruch zwischen der objektiven Realitiät und dem menschlichen Bewusstsein, ist erstere Ausgangspunkt und der bestimmende Aspekt für letzteres. Darum muss man auch die tatsächliche, materielle Welt verändern, um das Bewusstsein der Menschen grundlegend zu ändern, und nicht nur unsere „Werte, geistigen Modelle und Ethik“ damit „die Welt, die dieser Anschauung entspringt anders ist, und wir besser hoffen“. Die Welt entspringt nicht hauptsächlich einer Weltanschauung, sondern umgekehrt. Die Weltanschauungen entspringen der Welt in der wir leben. Was wir brauchen ist die richtige Weltanschauung, die richtige Theorie um die Welt zu verändern, damit die veränderte Welt widerrum das Bewusstsein der Mehrheit der Menschen ändert.

Realität(en)?
We believe, (…), that there is no longer one reality, but seven billion different ones. (S. 162)

Dass jeder seine „eigene Realität“ habe, ist eine alte und längst widerlegte philosophische Verirrung, die in unser Zeit wieder eine gewisse Popularität erlangt hat. Aus der Tatsache, das jeder Mensch ein eigenes Bewusstsein hat, und damit zu ganz unterschiedlichen Schlüssen über die selbe Sache kommen kann, wird gefolgert das es somit auch keine objektive Realität gäbe. Wenn dem so wäre, gäbe es keinen technologischen Fortschritt, keine ökomische Entwicklung, keine wissenschaftlichen Erkenntnisse. Die praktische Veränderung der Umwelt auf Grund einer Erkenntnis die der eigenen Erfahrung, oder der eines Anderen entspringt, ist der Beweis, erstens für eine objektive Realität, sowie für die Möglichkeit des Menschen über sie Dinge zu erkennen die wahr sind. Wahrheit ist nie absolut und einseitig, sondern relativ und widersprüchlich, aber sie existiert, als konkrete Wahrheit, zeitlich und räumlich bedingt. Die Realität ist der Maßstab für jede Theorie, sei sie naturwissenschaftlich oder gesellschaftswissenschaftlich, und wir müssen unsere Ideen, Theorien, Pläne oder Projekte daran messen, welche Erfolge sie in der Praxis nach sich ziehen, also ob sie zur gewünschten Veränderung führen.

Zurück in die Zukünfte?

Der „Future Cone“ von Anthony Dunne & Fiona Raby verdeutlicht einerseits die Unwissenschaftlichkeit ihrer Theorie bezüglich der Entwicklung der Geschichte und andererseits ihren eigenen Anspruch an die Veränderung der Welt. Denn wenn es tatsächlich so wäre wie sie es visualisieren, dass selbst die utopischste aller Zukünfte möglich ist, warum streben sie dann bloß nach dem oberen Mittelmaß?


Abb 1 Future Cone, fixed (Dmitri M.)

„citizen-consumer“ – revolutionäres Subjekt?
In a consumer society like ours, it is through buying goods that reality takes shape. The moment money is exchanged, a possible future becomes real. If it did not sell it would be sent back, becoming a rejected reality. (S. 37)

Nachdem zuerst nur die Gedanken die Welt formen sollten, wird jetzt der Akt des Kaufens einer Ware als wirklichkeitsschaffende Handlung bestimmt. Wo eine Bestimmung des Tausches in der kapitalistischen Ökonomie ansetzen könnte, biegen die Autoren leider schon ab. Sie behaupten nämlich, dass beim Kauf Realität erzeugt würde, und im Umkehrschluss beim „Akt“ des Nicht-kaufens, Realität zurückgewiesen werde. Sie meinen also, dass sich die Ware erst im Verkauf realisiere (und nicht lediglich der Wert der Ware). Da fragt man sich, wo die Ware denn vorher war, woher sie kommt, und vor allem, was mit ihr geschieht wenn sie tatsächlich nicht verkauft wird. Hier wäre ein guter Einstieg für die Erklärung der immer wiederkehrenden Krisen des Kapitalismus, aber auch diesen verpassen sie leider. In der Welt des „citizen-consumers“ gibt es die Dinge halt nur, wenn er sie im Supermarktregal vor sich stehen hat. Mit dieser Vorstellung von der Funktionsweise des Kapitalismus, ist der Schluß den die Autoren daraus ziehen auch folgerichtig.

In today’s economy it is as consumers that we have power. The most threatening act of protest for a capitalist system would be for its citizens to refuse to consume. (S. 37)

Sie postulieren den Konsumenten als Subjekt des Produktionsprozesses und ignorieren dabei vollständig, das dieser überhaupt nicht darüber bestimmt was, wann, wo und wie produziert wird. Die „Macht“ des Konsumenten beschränkt sich auf das Ändern einzelner, individueller Kaufentscheidungen, um dem Unternehmen einen möglichen Grund zu geben seine Produktion anzupassen. In der Realität führt das im besten Fall zu neuen Märkten, die neben den Alten bestehen, im schlechtesten zur moralischen Verurteilung derer, denen die Mittel fehlen großartig wählerisch zu sein bei ihrem Kaufverhalten. An dem Produktionsverhältnis, also der Tatsache das die Unternehmen Waren produzieren lassen von Arbeitern, zu möglichst geringen Kosten, einzig und allein um dann im Verkauf Profit zu erlangen, ändert es rein garnichts. Man muss schon daran etwas ändern, damit der Mensch und seine Lebensgrundlage nicht nur Mittel, sondern auch Zweck der Ökonomie sind. Ihre Kritik spart das grundlegende Prinzip des Kapitalismus, den Widerspruch zwischen Kapital und Arbeit, zwischen Bourgeoisie und Proletariat vollständig aus. (Wie sich die Autoren das mit der Verweigerung des Konsums vorstellen bleibt auch offen. Hungerstreiken? In eine Höhle ziehen und nur noch nackt rumlaufen?)

Der ökonomische Ursprung dieses Standpunktes ist offensichtlich. Es ist ein Privileg von Kleinbürgern, ihr Gewissen mit dem Erwerb vermeintlich fairer und nachhaltiger Produkte zu beruhigen.

Individuum > Kollektiv?
(…) today, we can strive for one million tiny utopias each dreamt up by a single person. (S. 8)

Dass sich jeder in seiner eigenen Fantasie eine bessere Welt erträumen kann, und dann sogar wirklich für sich danach streben könnte mag sein, ist aber ein ziemlich unsinniger Ansatz wenn man versuchen möchte die Gesellschaft zu verändern. Stattdessen wäre es hilfreich sich mit den Leuten die ein Interesse daran teilen zusammen zutun, um gemeinsam für eine kollektive Veränderung der Welt zu kämpfen. Anders geht es auch gar nicht, alleine kommt man nämlich höchstens in seiner Vorstellung weit. Natürlich ist die gemeinsame Umgestaltung der Welt kein einheitlicher Prozess, bei dem alle die gleichen Ideen und Positionen vertreten, aber man sollte untereinander nach Klarheit und Einheit im Denken und Handeln streben, um zu dem bestmöglichen Ergebnis zu kommen und Erfolge zu erzielen. Sonst sitzen wir in 50 Jahren noch hier und träumen vor uns her.

Was tun?

Wer es ernst meint mit der Änderung der herrschenden Verhältnisse, sollte sich die Ursachen für diese erklären, und daraus die Schlüsse ziehen die für ihre Überwindung notwendig sind. Konkret bedeutet das zu verstehen wie der Imperialismus funktioniert, wie der bürgerliche Staat funktioniert und vor allem welche Klassen der Gesellschaft welche gemeinsamen Interessen haben. Dann wird man feststellen, dass es einige Wenige gibt, die daran festhalten wollen wie die Dinge laufen, und auf der anderen Seite die Vielzahl der Ausgebeuteten und Unterdrückten auf der ganzen Welt, die gute Gründe haben sich davon zu befreien. Mit denen sollte man sich zusammentun, sich auf ihren Standpunkt stellen, um für eine Welt zu kämpfen in der Alle die Möglichkeit haben ihre Bedürfnisse zu befriedigen. Als Designer kann das bedeuten, diesem Kampf einen entsprechenden Ausdruck zu verleihen, seine Fähigkeiten zu benutzen um Aufmerksamkeit zu erzeugen und Standpunkte zu verbreiten und sich so, an der Umgestaltung der Verhältnisse zu beteiligen. Im Allgemeinen heißt das Kunst und Kultur zu schaffen, die dem Volk und der Revolution dient. Das der Weg zum Ziel, einer klassenlosen Gesellschaft, nicht ohne den Widerstand der Profiteure und Verteidiger der heutigen Ordnung möglich ist, macht eine besondere Form der Organisation und des Kampfes notwendig. Aber dazu haben andere Leute schon genug geschrieben, es ist an der Zeit zu handeln!

Und nicht vergessen:

(…) the power of design is often overestimated.
Anthony Dunne & Fiona Raby

Dmitri M., April 2022

References

Literatur

Dunne, Anthony / Raby, Fiona (2014): Speculative Everything – Design, Fiction, and Social Dreaming. MIT Press, Cambridge MA.

Abbildung

Future Cone, fixed (Dmitri M.), DESGIBNABILITIES Design Research Journal (04) 2022

Download & Citation Info

M., Dmitri (2022): Zur Kritik kritischen Designs. DESIGNABILITIES Design Research Journal, (04) 2022. https://tinyurl.com/y5tb9uz4 ISSN 2511-6274