March 1st, 2023
Konspirative Spiele – Über das Verschwörungspotenzial von Video Games
Als Kampfandroide hackst und schießt du dich durch Horden von Alienmaschinen, um deine Erschaffer und Götter, die Menschen, von deren Invasoren zu befreien. Doch plötzlich machst du die Entdeckung, dass die Menschheit schon lange vor der Alien Invasion ausgestorben ist. YorHa, die Befehlshaber der Androidenarmee, haben diese Lüge nur aufrechterhalten, um andere, geheime Ziele zu erreichen.
Nicht selten wird in Videospielen zum Plot-device der Mächtigen, Konzerne oder PolitikerInnen gegriffen, welche mit versteckten Agenden als PuppenspielerInnen die Weltordnung manipulieren. Es wirkt fast so, als wäre die Verschwörungstheorie das Allzweck-Heilmittel im Medizinschränkchen vieler Narrative-DesignerInnen. Aber wieso bietet sich dieser Plot-device so an und inwiefern könnte dies zu einer Verbreitung und Normalisierung von Verschwörungstheorien führen?
Auch in anderen Medien, die sich mit virtuellen Räumen, Zukunftsvisionen und künstlicher Intelligenz beschäftigen, ist das Thema der Verschwörung allgegenwärtig. Die Außerirdische Macht, welche die Menschheit durch eine Simulation im Glauben lässt alles sei normal, sie aber kontrolliert und ausbeutet in Matrix (1999) oder die künstliche Intelligenz Puppet Master, die im Animationsfilm Ghost in the Shell (1995), die von der Japanischen Regierung erschaffen wurde, um Gedanken von mächtigen Personen und Datenbanken zu manipulieren.
Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass ein Medium, welches selbst ein virtuellen Raum erschafft, der von durch Entwicklerinnen entworfenen künstlichen Intelligenzen bewohnt wird und in dem die SpieledesignerInnen jede Aktion des Spielenden auswerten können, zu paranoiden Dystopien und Verschwörungstheorien verleitet. Zwar scheint man den Charakter selbst zu steuern, in der Regel ist man jedoch nur eine Marionette des Spiels, welches die Spielenden zum nächsten Storybeat oder zur nächsten Herausforderung leitet.
In einem Spiegel Netzwelt Artikel von Christian Huberts wird die These aufgestellt, dass es in Videospielen zu einer übermäßigen Nutzung von Verschwörungstheorien kommt. Wenn mit der immer steigenden Herausforderung des typischen Spielverlaufs nach jedem vermeintlichen Endboss noch ein stärkerer Boss stehen muss, ist die Verschwörung ein einfaches Mittel um dies plausibel erscheinen zu lassen. Huberts nennt das Videospiel NieR: Automata als Paradebeispiel hierfür.
Wenn man sich mit NieR:Automata Direktor und “Auteur”-Figur Yoko Taro tiefer beschäftigt, merkt man, dass die Verschwörungstheorie sowie das Vertrauen in bekannte (Game-)Strukturen zu brechen nicht nur zur Spielhandlung wird, sondern sogar als Grundstein seiner “Designphilosophie” fungiert.
Auf der Game Developer Conference 2014 und 2018 hält Yoko Taro Talks, in denen er seine Game Design Strategie der Invisible walls erläutert. Er beschreibt, wie er versucht, den Spielenden absichtlich eine klare Grenze zu stecken, beispielsweise wo die Spielwelt zu Ende ist, welche Aktionen möglich und welche nicht möglich sind, wer gut und wer böse ist. Diese Grenzen werden dann im Laufe des Spiels wieder und wieder aufgezeigt, bis die Spielenden sicher sind, dass hinter diesem “invisible Wall” oder der “edge of the world” nichts zu finden ist bzw. dass es sich hier um die Wahrheit innerhalb des Spieluniversums handelt.
Doch diese Grenzen dienen nur dem Zwecke sie wieder niederzureißen, sobald die Spielenden sie akzeptiert haben. Dadurch soll ein Moment von Überraschung und Freiheit generiert werden, da nun vorherige Grenzen überwunden werden können.
So findet in NieR:Automata z.B. der Großteil des Spiels und der Geschichte erst nach den (ersten) Credits statt. Erst nachdem die SpielerInnen erwartet haben, das Spiel sei zu Ende, wird klar, was die echte Handlung ist und es wird über die Motivation der PuppenspielerInnen im Hintergrund aufgeklärt.
Diese Eigenschaften und Design-Patterns finden sich in vielen Videospielen wieder, denn die Benutzung von Twists, um immer neue und größere BösewichtInnen aus dem Hut zu zaubern ist ein einfaches Mittel, um die Handlung spannend zu halten und eine immer fortschreitende Eskalation in Spektakel und Schwierigkeit zu erzeugen.
Doch in dem Moment, in dem die SpielerInnen das Spiel mit den Grenzen und Erwartungen erkennen, werden diese selbst zu VerschwörungstheoretikerInnen, zumindest während des Konsums des Spiels, da nun hinter jeder Ecke und jeder Aussage eine versteckte Agenda, eine noch mächtigere Person im Hintergrund und eine andere Wahrheit erwartet wird.
Anhand dieses Beispiels könnte man behaupten, dass in Videospielen nicht nur die Verschwörungstheorie durch die häufige Benutzung in deren Geschichten normalisiert wird, sondern auch ähnliche Denkmuster anhand des Spielaufbaus und deren Spielmechaniken erlernt und verstärkt werden.
Verschwörungstheorien um Videospiele
Nicht nur innerhalb von Videospielen findet man die Verschwörungstheorie, sondern auch über Videospiele gibt es einige. Zum Beispiel soll das Militär der Vereinigten Staaten für den Boom des Ego-Shooter Genres verantwortlich sein, um junge Menschen mit spaßigen Kriegsspielen für den Beitritt zum Militär zu begeistern. Zwar gibt es eine Videospielserie der U.S army namens America’s Army (Teil 1 2002), welches zu Rekrutierungszwecken entwickelt und eingesetzt wurde, aber es wurde auch klar über den Anwendungsbereich aufgeklärt.
Auch Polybius, ein Arcade-Game aus den 80er Jahren, soll von mächtigen DrahtzieherInnen finanziert worden sein, um die Gedanken der Spielenden zu manipulieren. Es gibt zwar Personen, die Polybius beschreiben und in einer Spielhalle gesehen haben wollen, jedoch gibt es bis heute keine handfesten Beweise für dessen Existenz. Somit ist dies auch ein Beispiel für den Mandela-Effekt.[1]
Videospiele als unmoderierter Raum
Online-Videospiele haben meist einen Text- oder Sprachchat, dessen Moderation oft nicht über ein Herausfiltern von einer Wortliste hinaus geht. Solch ein unmoderierter Raum bietet sich an, um politische Agenden sowie auch Verschwörungstheorien frei zu verbreiten. So werden Online-Videospiele Schauplatz von politischer Infiltration in deren Communities. Es kommt zu Verbreitung von fragwürdigem Gedankengut sowie Bildung von eigenen Verschwörungstheorie Communities wie z.B dem Flat Earth Society Clan in dem populären Online-Rollenspiel World of Warcraft. Wie auch häufig in diesem Kontext ist es nicht eindeutig, inwiefern es sich um ernstgemeinte Anhänger oder Personen handel, die sich als solche inszenieren.
Ausblick
Sollten Videospiele nun ihr für sie typisches Design und Storytelling über Bord werfen und sollten Online-Räume stärker moderiert und überwacht werden? Zumindest sollten VideospielentwicklerInnen sich dieser Gefahren bewusster sein und auch andere Formen der Geschichtenerzählung und sozialer Räume in Betracht ziehen. Dass dies möglich ist, zeigen viele Indie-spiele, auch wenn diese in der Regel auf kleinere Zielgruppen ausgerichtet sind. Beispiele hierfür sind Florence (2018), welches eine intime Alltagsgeschichte erzählt und Journey (2012), welches mit seinem nonverbalem Multiplayer interessante kooperative Interaktionen zwischen den Spielenden schafft.
[1] Der Mandela Effekt beschreibt das massenpsychologische Phänomen einer kollektiven falschen Erinnerung. Der Name geht darauf zurück, dass eine Vielzahl an Menschen der festen Überzeugung war, Nelson Mandela sei bereits im Gefängnis verstorben.
References
Download & Citation Info
Calchera, Federico (2023): Konspirative Spiele – Über das Verschwörungspotenzial von Video Games. DESIGNABILITIES Design Research Journal, (1) 2023 https://tinyurl.com/495jbppu ISSN 2511-6274