July 9th, 2025
Ein Pakt gegen die Hochschulen – Bildung auf dem Rückzug
Hochschulen schlagen Alarm: Der neue Hochschulpakt in Hessen könnte das Bildungssystem auf Jahre schwächen. Statt Investitionen in Forschung, Lehre und gesellschaftliche Zukunft stehen massive Einsparungen im Raum – und mit ihnen ein schleichender Substanzverlust.
Mit dem Hochschulpakt 2026–2031 will das Land Hessen die Finanzierung seiner 14 staatlichen Hochschulen neu regeln. Doch anstatt wie in der Vergangenheit die steigenden Anforderungen von Wissenschaft und Bildung politisch abzufedern, sieht der aktuelle Entwurf für die ersten beiden Jahre reale Kürzungen vor – und selbst die danach vorgesehenen jährlichen Steigerungen von durchschnittlich 2,12 Prozent können die zu erwartenden Kostensteigerungen in keiner Weise kompensieren.
Der Aufschrei kam prompt: Hochschulpräsidien, Gewerkschaften und Studierendenvertretungen sprechen von einem strukturellen Defizit von rund einer Milliarde Euro über die gesamte Laufzeit. Etwa zehn Prozent des Personals in Wissenschaft, Verwaltung und Infrastruktur könnten mittelfristig wegfallen. Besonders betroffen wären befristete Stellen, Projekte in Forschung und Lehre, aber auch der wissenschaftliche Nachwuchs, der ohnehin schon unter prekären Arbeitsbedingungen leidet.
Sparlogik als Rechenfehler mit System
Die Einschnitte kommen zur Unzeit. Während Deutschland inmitten tiefgreifender gesellschaftlicher und technologischer Transformationen steht – Digitalisierung, KI, Klimawandel, Fachkräftemangel – sind Hochschulen zentrale Orte des gesellschaftlichen Fortschritts. Hier wird Wissen erzeugt, reflektiert, gelehrt und in die Gesellschaft getragen. Wenn der Staat ausgerechnet an diesen Orten den Rotstift ansetzt, kann das als eine politische Bankrotterklärung verstanden werden.
Dabei geht es längst nicht nur um Zahlen. Die Qualität von Lehre und Betreuung leidet bereits heute unter einer angespannten Personalsituation. Forschende sind gezwungen, Drittmittel einzuwerben, um ihre Arbeit überhaupt fortsetzen zu können. Lehrende stemmen immer größere Gruppen mit immer weniger individueller Zuwendung. Die geplanten Kürzungen verschärfen diese Lage dramatisch – und konterkarieren sämtliche bildungs- und innovationspolitischen Bekenntnisse der Landesregierung.
Die Argumentation der Landesregierung beruht auf einer vermeintlichen Logik der Haushaltskonsolidierung. Man verweist auf sinkende Einnahmen, steigende Verpflichtungen und notwendige Sparmaßnahmen. Doch was auf dem Papier plausibel erscheinen mag, entpuppt sich bei näherem Hinsehen als ökonomisch und bildungspolitisch kurzsichtig. Denn Hochschulen sind keine haushaltstechnischen Problemzonen, sondern langfristige Investitionen in die Zukunft eines Landes.
Nicht zufällig haben andere Bundesländer – selbst unter Haushaltsdruck – ihre Hochschulen in den vergangenen Jahren gestärkt: durch Programmpauschalen, Bauoffensiven, Digitalisierungsschübe und strukturelle Personalaufstockungen. Hessen dagegen plant eine Aushöhlung auf Raten. Wenn das Land hier spart, spart es an seiner eigenen Innovationsfähigkeit – und läuft Gefahr, in (etwa in zentralen gesellschaftlichen Schlüsseltechnologien) den Anschluss zu verlieren.
Gesellschaftliche Kosten statt Einsparungen
Die gesellschaftlichen Folgen dieser Politik lassen sich kaum beziffern, aber umso klarer benennen: weniger wissenschaftlicher Output, schlechtere Studienbedingungen, höhere Abbrecherquoten, geringere Chancengerechtigkeit und eine verschärfte soziale Selektion im Zugang zu Bildung. Nicht zuletzt wird das Land als Arbeitgeber unattraktiver – für Forschende ebenso wie für Verwaltungspersonal.
Die Hochschulen haben bereits reagiert. Um das Land kurzfristig zu entlasten, wurden über 470 Millionen Euro aus Baurücklagen zur Verfügung gestellt. Doch dies bleibt ein buchhalterischer Taschenspielertrick, der nichts an der strukturellen Unterfinanzierung ändert. Im Gegenteil: Die Möglichkeit, in Gebäude und Infrastruktur zu investieren, wird damit langfristig ausgehöhlt. Sanierungsstaus, verschleppte Digitalisierungsvorhaben und bauliche Mängel werden zur Realität.
Gerade Hochschulen sind auf langfristige Planungssicherheit angewiesen. Berufungen, Studiengänge, Forschungskooperationen – all dies lässt sich nicht von Jahr zu Jahr neu kalkulieren. Ein Hochschulpakt, der absehbar strukturelle Defizite produziert, verfehlt damit seinen Zweck. Statt Stabilität bringt er Unsicherheit, statt Perspektiven bringt er Rückzug. Das Vertrauen in die Bildungspolitik des Landes steht auf dem Spiel – und mit ihm die Attraktivität des Wissenschaftsstandorts Hessen insgesamt.
Dass ausgerechnet eine konservativ-liberale Koalition, die sich sonst auf wirtschaftliche Vernunft beruft, die ökonomischen Potenziale von Bildung und Forschung verkennt, wirkt paradox. Umso mehr braucht es jetzt politischen Druck – aus den Hochschulen selbst, aber auch aus der Gesellschaft. Denn die Frage, wie ein Land seine Hochschulen behandelt, ist immer auch eine Frage, wie es sich selbst sieht: als innovationsfreudig, bildungsfreundlich, zukunftsgewandt – oder als haushaltsverliebt, rückwärtsgewandt und resigniert.
Ein Appell zur Umkehr – Nicht am falschen Ende sparen
Noch ist der Hochschulpakt nicht beschlossen. Die Proteste sind laut, die Kritik fundiert. Hochschulen, Studierende, Verbände und Vertreter:innen der Politik fordern eine grundlegende Überarbeitung. Es geht nicht um luxuriöse Sonderausstattungen oder Elfenbeinturmträume. Es geht um funktionierende Hochschulen in einem Land, das auf kluge Köpfe, visionäre Ideen und fundiertes Wissen angewiesen ist.
Wer heute die Axt an die Wurzeln des Hochschulsystems legt, gefährdet nicht nur den akademischen Betrieb, sondern die Zukunftsfähigkeit ganzer Generationen. Bildung ist kein Kostenfaktor. Sie ist ein Versprechen. Und dieses Versprechen darf ein Land wie Hessen nicht brechen.