March 1st, 2022

Vom design turn zum project turn

Im Zentrum meiner Überlegungen steht nicht die seit den 1950er Jahren mit wechselnder Intensität erörterte Frage der Beziehung des Design zu den Wissenschaften, wie man vom Design her zu den Wissenschaften eine Brücke bauen und was das Design von den Wissenschaften lernen kann, sondern die umgekehrte Frage, was die Wissenschaften heute vom Design lernen können – ein vielversprechender Prozess, für den es seit einigen Jahren ermutigende Indizien gibt, vor allem im Bereich der universitären Ausbildung.

Das Design erfreut sich derzeit, was die gesellschaftliche Anerkennung betrifft, eines durchaus ambivalenten Status. Das Wort zumindest, wenn auch weniger die Sache, registriert Hochkonjunktur – auf der einen Seite medial hochgefeiert, auf der anderen Seite als geradezu lästige Nichtigkeit abgetan, wofür ich gleich zwei Zitate anführen werde. Selbst die Wissenschaften, für die das Design jahrzehntelang ein Nicht-Thema war, lassen sich von dieser Welle mittragen, so dass heute ein kultursoziologischer Buchtitel wie Das Design der
Gesellschaft keine Überraschung bereitet.

Zwei Neuankömmlinge im Reigen der designbezogenen wissenschaftlichen Disziplinen sind das knowledge design und die um den design turn sich scharenden Kultur- und Bildwissenschaften, sowie die bisweilen auf empiriefernem Fundus sprießenden medienphilosophischen Erörterungen. Ich lasse dahin gestellt, ob man Wissen gestalten kann, und ob es dabei nicht in erster Linie um die Gestaltung der Vermittlung von Wissen geht.

Was nun die kritische Einschätzung des Designs und der DesignerInnen angeht, zitiere ich zwei Beispiele aus dem literarischen Bereich, zunächst einen Abschnitt aus Herrn Zetts Betrachtungen, von Hans Magnus Enzensberger:

„Als [er] Herr Zett bemerkte, dass sich einer von uns auf einen Klappstuhl aus durchsichtigem rosa Kunststoff niedergelassen hatte, erging Z. sich in einer Tirade über die Designer. ‹Seitdem die letzten Nachfolger des Bauhauses das Zeitliche gesegnet haben›, fing er an, ‹sind diese Leute damit beschäftigt, alle Gebrauchsgegenstände unbrauchbar zu machen. Was sie Kreativität nennen, ist eine Drohung. Zu ihren Triumphen gehören die Abschaffung des Wasserhahns, der Bau von windschiefen Regalen, die Erfindung von Lampen, die nicht wie Lampen aussehen und möglichst wenig Licht geben, und von Sitzgelegenheiten, die nicht nur wackeln, sondern, wie der berühmte Stuhl von Gerrit Rietveld, der menschlichen Anatomie Hohn sprechen. Der Mehrwert dieser Objekte besteht darin, dass sie mit dem Namen ihrer Urheber verziert sind.› […] Man müsse sich die Hölle als einen Ort vorstellen, der ganz und gar von Designern möbliert sei.“ [1]

Ich zitiere eine weitere Kostprobe für die marginale Bedeutung der Designer von Michel Houellebecq:

„Man muss sich darüber klar werden, dass die Fertigwaren dieser Welt […] gegenwärtig von einer kleinen Klasse von Ingenieuren und Technikern entworfen und produziert werden. […] Sie stellen vielleicht 5 Prozent der berufstätigen Bevölkerung dar […] Der soziale Nutzen des restlichen Unternehmenspersonals – kaufmännische Angestellte, Werbeleute, Büroangestellte, Verwaltungskader, Designer – ist viel weniger einsichtig. Sie könnten verschwinden, ohne dass der Produktionsprozess dadurch wirklich beeinträchtigt würde.“ [2]
Man kann diese literarischen Einschätzungen als ein Anzeichen dafür nehmen, wie arg der Begriff ‹Design› im Laufe der letzten zwei Jahrzehnte lädiert, ja geradezu bastardisiert worden ist.

Das Ausfransen des Designbegriffs kann auf vier Ursachen zurückgeführt werden:

1 ) Auf die Notwendigkeit der im Bereich der Ausbildung tätigen Dienstleistungsunternehmen (und dazu gehören auch die Universitäten), sich mit ihrem Angebot auf dem Ausbildungsmarkt zu differenzieren und zu profilieren.

2 ) Auf die Entwicklung neuer Technologien, vor allem der Digitaltechnologien.

3 ) Auf die Konstellation politisch-wirtschaftlicher Interessen, die mit den Namen ‹Postfordismus› und ‹kognitiver Kapitalismus› bezeichnet wird. [3]

4 ) Auf das vermeintliche Ableben oder Ende des Projektes der Moderne und der damit zusammenhängenden Vorherrschaft einer postmodernen Einstellung, derzufolge die politisch-gesellschaftlichen Utopien der Aufklärung, sowie das Versprechen von Emanzipation, Entwicklung und Fortschritt als anachronistisch und absurd zu betrachten sind. [4]

Wenn man einen seit einigen Jahren in Mode stehenden Begriff wählt, kann man das heutige Panorama als ‹flüssig› kennzeichnen, in dem sich vermeintlich sichere Grundannahmen auflösen, was sich auch in der Designausbildung niederschlägt, die wiederholt von Wissenschaftlern wie Donald Norman kritisiert worden ist. Er revindiziert eine radikale Änderung der Ausbildung der Industrial Designer – wie auch der Ingenieure. Ausgehend von Erfahrungen in den USA schreibt er:  Viele Probleme implizieren komplexe gesellschaftliche und politische Aspekte. Deshalb müssen die Designer zu Verhaltenswissenschaftlern werden. […] Die Designausbildung muss von den Kunst- und Architekturschulen in Wissenschafts- und Ingenieursfakultäten überführt werden. [5]

Ich hege Vorbehalte gegen die Interpretation des Designers als Verhaltenswissenschaftler, doch stimme ich der Feststellung zu, dass es um die Designausbildung und folgerichtig um die Designforschung und Designtheorie nicht gut bestellt ist. Norman plädiert für ein wissenschaftliches Vorgehen beim Entwerfen, das sich durch vier Maßnahmen auszeichnet, und zwar, erstens durch öffentliche Erläuterung des Problems, dann der Vorgehensweise, darauf folgend der Ergebnisse und schließlich deren Interpretation. Es bleibt allerdings die Frage offen, ob diese idealtypische Sequenz im Bereich des Design funktioniert – und mehr noch, ob diese Norm in den Wissenschaften selbst immer eingehalten wird.

Einer der Fallstricke für die Beziehung zwischen Design und Wissenschaften besteht in der Anwendung einer vermeintlich universell gültigen Methode und der schematischen Anwendung von Kriterien, die für andere Handlungsbereiche gültig, zweckmäßig und gerechtfertigt sein mögen, weniger oder gar nicht dagegen für das Design. Das wird unter anderem an jenen Doktorandenprogrammen für Design deutlich, die einen traditionellen Ansatz wählen und als Ergebnis der Forschung ein 80.000 bis 100.000 Wörter umfassendes Dokument anvisieren und somit das äquivalent der kognitiven Anstrengung eines Entwurfs im Vergleich zu einer herkömmlichen diskursiv angelegten Dissertation nicht anerkennen, wenn sie nicht von vornherein die Entwurfskompetenz als minderrangig und kognitiv defizitär einstufen und sogar eskamotieren.

Das Interesse an der Beziehung zwischen Wissenschaft und Design ging nicht von den Wissenschaften aus, die dem Thema des Entwurfs und des Entwerfens indifferent gegenüberstanden und bestenfalls in den Bereich der Kunst abschoben, und zwar wegen der konstitutiven Teilhabe des Entwurfs gegenständlicher und semiotischer Artefakte an der ästhetischen Dimension. Auch herrscht bekanntlich in den diskursiv geprägten Wissenschaften, im Gegensatz zu den Augenwissenschaften eine an ästhetische Tradition, derzufolge all das, was nicht mit Wissenschaft und Technik zu tun hat, in den Bereich der Kunst relegiert und damit wegerklärt wird. Ästhetik wird geradezu verdächtigt, der Suche nach objektiv verbürgter Wahrheit abträglich zu sein. Das Entwerfen als konstitutive anthropologische Konstante genoss nicht das Vorrecht, überhaupt als Thema registriert und ernst genommen zu werden.
Wieso kam es nun zu dieser einseitig initiierten Annäherung zwischen Entwurf und Wissenschaft? Wieso kam es überhaupt zu der Forderung, dass DesignerInnen nicht nur entwerfen, sondern auch forschen sollten – und das meint nach herkömmlichem Verständnis, kognitiv Neues, oder kognitive Innovation produzieren sollten neben ihrer zentralen Aufgabe, Innovation im Bereich der materiellen und semiotischen Artefakte zu betreiben? Es war der Bereich der Designausbildung, in dem diese Beziehung thematisiert wurde. Dabei spielten verschiedene Motive und Annahmen mit.

Erstens die Einsicht, dass angesichts der Komplexität der Gestaltungsprobleme die EntwerferInnen zunehmend auf wissenschaftliche Kenntnisse angewiesen sind. Insofern sich Gestaltung auf die Integration der Technik in die alltägliche Lebenspraxis, genauer auf den Gebrauch und Umgang mit Artefakten richtet, waren die EntwerferInnen – so zumindest die Annahme – gezwungen, sich mit wissenschaftlichen Kenntnissen auseinanderzusetzen. Primär war die Hinwendung der Vertreter der Designausbildung zu den Wissenschaften von einem instrumentellen Interesse geprägt. Es ist aufschlussreich, dass diese Experimente in außeruniversitären Institutionen initiiert wurden, da sich das Entwerfen nicht in die okzidentale Tradition der universitären Ausbildung mit ihrer Dreiteilung in Wissenschaft, Technologie und Kunst einpasste und somit – mit Ausnahme der Architektur – in den etablierten universitären Ausbildungsstätten nie so recht hat Fuß fassen können.

Zweitens wurde angenommen, dass die Wissenschaften über einen Methodenfundus und über Grundlagen verfügten, dem das Design nichts Vergleichbares entgegenzusetzen hatte. Das Design erschien methodologisch als mangelhaftes Unternehmen, dessen Schwachstellen durch den Rekurs auf Wissenschaften beseitigt werden sollten.

Drittens wurde angenommen, dass das wissenschaftliche, rationale, argumentative Vorgehen als Richtschnur für das Entwerfen dienen könne.

Viertens wurde der hohe epistemologische Status der Wissenschaften geschätzt, verglichen mit dem das Design sich recht kümmerlich ausnahm.

Wissenschaften werden in der Regel als ein Hort der Wahrheit – oder konkurrierender Wahrheiten – betrachtet. Ihre Aussagen genießen den Status der Unanfechtbarkeit (bis sie empirisch widerlegt werden) – eine Annahme, die bekanntlich nicht von den Verfechtern des Poststrukturalismus geteilt wird, denen zu folge die Wirklichkeit ein Text, und vorzugsweise nur ein Text ist, der verschieden interpretiert werden kann, womit der Anspruch auf universale Gültigkeit unterlaufen wird. Ich erlaube mir kein allgemeines Urteil über den Poststrukturalismus und dessen zentrale Sprecher wie Derrida und Foucault, wohl aber ein Urteil über deren Einfluss auf den Architektur- und Designdiskurs, wo sie bestenfalls Verworrenheit hervorgerufen haben, was nicht allein diesen Autoren anzulasten ist.

Wissenschaften legitimieren sich bekanntlich durch den Wahrheitsanspruch ihrer Aussagen, oder genauer durch die Ableitung bzw. empirische Abstützung des Wahrheitsanspruchs ihrer Aussagen. Sie sind durch und durch diskursiv-argumentativ geprägt. Das Design, das sich demgegenüber in der Ausformung nicht-diskursiver Artefakte manifestiert, befindet sich in dieser Hinsicht in einer misslichen Lage. Der mit wissenschaftlichen Aussagen verbundene Herrschaftsanspruch spiegelt sich in der okzidentalen philosophischen Tradition wieder, die der Theorie gegenüber der Praxis Vorrang einräumt. Hans Blumenberg erwähnt zwei aufschlussreiche Beispiele dafür, wie sowohl Galilei als auch Descartes von den gering geschätzten praktischen, ‹mechanischen Künsten› lernten und profitierten, dies aber nie anerkannten, um für den reinen ‹Geist› (Theorie) eine Vorrangstellung zu reklamieren. [6]

Aus derartiger Denkweise entwickelte designtheoretische und designwissenschaftliche Beiträge, die mit Präzeptorgehabe auftreten und sich gleichsam eine Vormundrolle für die Praxis anmaßen, dürften schwerlich zur Klärung der theoretischen Voraussetzungen des Entwerfens beisteuern. Wenn sich Wissenschaften dem Design nähern, wäre die Bereitschaft, sich mit der Thematik des Design überhaupt erst einmal vertraut zu machen, wohl eine unabdingliche Voraussetzung, bevor man der Versuchung zu ex catedra Verlautbarungen nachgibt.

Im Zuge der Integration der ehemals von Werkkunstschulen angebotenen Designstudiengänge in Fachhochschulen oder Hochschulen für Angewandte Wissenschaften, war es unumgänglich, diese Ausbildungsgänge an die herrschenden akademischen Praktiken und Anforderungen anzupassen, wozu eben auch das Forschen gehört, ob es nun angewandt ist oder nicht – eine ohnehin fragliche Unterscheidung, weil gar nicht voraussehbar ist, ob eine heute ‹unangewandte› Forschung nicht eines Tages anwendbare Resultate zeitigt. Freilich findet die Forschung bislang ihre Grenze am Monopol des auf die Universitäten beschränkten Promotionsrechts, zumindest in der BRD, wogegen im angelsächsischen Sprachbereich eine Unterscheidung zwischen einem professional doctorate, zum Beispiel in der Medizin, und einem research doctorate gemacht wird, wofür eigens eine Promotionsarbeit erstellt werden muss.

Was nun die Forderung angeht, dass Designer auch forschen müssten, so ist sie durchaus gerechtfertigt und begrüßenswert. Allerdings stellt sich dann die Frage, ob das Design als Forschungspraxis schematisch vermeintlich universell geltenden Maßstäben unterzuordnen zu wäre, um überhaupt als Designforschung ernst genommen und nicht als Schwundstufe ‹ernster› Forschung abgetan zu werden.

Wenn man einem projektorientierten Studiengang auf allen Ebenen, einschließlich einer Masterabschlussarbeit und einer Dissertation, aus anderer Tradition stammende Kriterien aufpfropft, kann es nicht nur zu einer kontraproduktiven, zwar akademisch verbrieften, aber thematisch irrelevanten Designforschung kommen, sondern darüber hinaus zu einer Blockade des Potentials einer entwurfsbasierten Forschung überhaupt. Dieser Widerspruch tritt besonders deutlich zu Tage, wenn man auch von den an den Hochschulen bzw. Universitäten der Künste lehrenden Künstlern nun einen akademischen Abschlussgrad verlangt. Diesbezüglich wies ein Forscher kürzlich darauf hin, dass es wohl kaum sinnvoll sei, nun auch von bildenden Künstlern Forschung zu verlangen, da diese dann zu Recht die Arbeit an ihren Kunstwerken als Forschung deklarieren könnten, womit sie unmittelbar die Interessen der etablierten wissenschaftlichen Forschung tangieren, wenn es um den Antrag für Forschungsmittel und die Verwendung von Drittmitteln geht.

Was nun die Designwissenschaft angeht, folgt das Design, wenn auch mit zeitlichem Verzug, anderen Manifestationen kultureller Praxis. Literatur findet eine Entsprechung in der Literaturwissenschaft, die Musik in der Musikwissenschaft und das Theater in der die Theaterwissenschaft. Schließlich kann jeder Themenbereich Gegenstand wissenschaftlicher Forschung werden, was nicht dahingehend zu deuten wäre, dass aus der Musik oder aus dem Design eine Wissenschaft zu machen wäre. Wohl aber kann es einen vom Design ausgehenden Ansatz wissenschaftlicher Forschung geben, für den Nigel Cross den Terminus ‹research through design› geschaffen hat.

An diesem Punkt tritt der Unterschied zwischen Diskurs und Performanz unmissverständlich zu Tage. Designwissen als Handlungswissen, als Handlungskompetenz ist nicht mit Diskurswissen zu verwechseln. Wenn man einen Fußballspieler fragt, wie er es denn anstelle, so viele Tore zu schießen oder so gut zu spielen, wird er sich schwer damit tun, diese Frage zu beantworten, weil für den handlungskompetenten Akteur die Praxis transparent ist, wogegen sie für den Beobachter undurchsichtig bleibt, was den Anlass dafür bietet, diese Frage überhaupt zu stellen.

Kann es so etwas wie Designwissen geben? Wenn damit eine praktisch wirksame Entwurfskompetenz gemeint ist, wird diese Frage affirmativ beantwortet werden müssen. Wenn man allerdings den Wissensbegriff auf kognitiv-diskursiv Erfassbares beschränkt, wird man diese Frage verneinen müssen.

Bekanntlich legte unter anderem die HfG Ulm vor zwei Generationen Nachdruck darauf, die Beziehung zwischen Gestaltung und Wissenschaften zu stärken und damit verbunden zur Entwicklung der Designtheorie beizutragen. Doch so wie sich Christopher Alexander bald nach Veröffentlichung seines Standardwerks Notes on the Synthesis of Form (1964) von der Entwurfsmethodologie abkehrte, als er deren akademische Auswüchse feststellte, so stellt sich heute die Frage, ob es der Designtheorie gelungen ist, den Raum für die Reflexion kritischer Fragen des Entwerfens auszuweiten und auf wie auch immer vermittelte Weise einen Bezug zur konkreten Entwurfspraxis zu wahren. Es liegt auf der Hand, dass sich der designwissenschaftliche und designtheoretische Diskurs zunächst einmal auf die Selbstlegitimierung konzentrieren und sich um Begriffsklärung mühen, um als akademische Disziplin anerkannt zu werden. Selbst wenn Designtheorie vorzugsweise im akademischen Rahmen angesiedelt ist und dort ein abgeschirmtes Eigenleben führen kann, wäre es für ihre Festigung abträglich, sich von der Entwurfspraxis abzukapseln mit der Folge, von Praktikern bestenfalls mit Vorbehalten, wenn denn überhaupt, zur Kenntnis genommen zu werden.

Die bereits erwähnte Durchlässigkeit und Aufweichung des Begriffs ‹Design› ermöglichten es, dass im Rahmen der seit Mitte der 1990er Jahre forcierten Akademisierung der Ausbildungsgänge und der zunehmenden Bedeutung der durch Zertifikate verbrieften akademischen Qualifikation, die Designtheorie sich zum beträchtlichen Teil verselbständigt hat – mit kontraproduktiven Konsequenzen für die Designausbildung und auch die Designtheorie selbst. Sicherlich ist es zu begrüßen, wenn bislang hermetisch abgedichtete Entwurfsstudiengänge sich öffnen und aus gestaltungs-bezogenen Wissenschaften stammende differenzierte Sichtweisen in das Lehrprogramm einbezogen werden. Folgerichtig begünstigt die nun geforderte Forschungstätigkeit die Schaffung neuer akademisch approbierter Lehrstellen, womit wissenschaftlichen Disziplinen im Bereich der Designstudiengänge ein Hausrecht verliehen wird. Wenn hingegen bei Berufungen von Entwurfsdozenten – ich betone Entwurfsdozenten – akademischen Zertifikaten tendenziell ein größeres Gewicht als der praktisch-beruflichen Erfahrung beigemessen wird, wächst die Gefahr einer fortschreitenden Ausdünnung der Entwurfskomponente in der Ausbildung. So wurden unter anderem derzeit hoch in Kurs stehende Begriffe wie emotional design, experience design und design thinking lanciert. Insbesondere das design thinking wurde als ein neues Mantra im Bereich des Management propagiert, womit ein besonderer Typ kognitiver Kompetenz reklamiert wurde. Es dauerte nicht lange, bis Donald Norman diesen Neologismus entlarvte: “The design thinking is a term coined by the public relations for an old acquaintance, nominated creative thought.” [7] Mir scheint, dass die Vertreter des design thinking vor allem den integralen oder holistischen Ansatz meinen, an Probleme heranzugehen, wie er typisch für DesignerInnen ist. Aus diesem Grunde bildet das design thinking für die Designpraxis nichts Neues.

Um sich akademisch zu profilieren und dank dieser Aufstockung unter anderem die formalen Voraussetzungen für die Bewilligung von Forschungsmitteln zu schaffen, richten sich die Bemühungen darauf, das Design als Disziplin zu definieren. In gegenläufigen Unternehmungen, vor allem im geradezu überbordenden Bereich der Medienstudien und recht diffuser cultural studies, wird das Wort ‹Design› mit Präpositionen wie ‹Trans›, ‹Inter-›, ‹Meta-›, ‹Post-› und ‹Multi-› kombiniert als ob die noch nicht einmal gefestigte Disziplin zu eng sei und überschritten werden müsse. Bisweilen drängt sich der Eindruck auf, dass es den AutorInnen weniger darum geht, sich in das Thema Design zu vertiefen, als vielmehr das Design nur als Vorwand nutzen, um Phänomene der Kunst, zumal mediale Kunstunternehmungen zu erörtern.

Bestenfalls besteht ein nominales Interesse am Design, kaum aber ein Interesse an der Sache.
Designforschung kann mit Hilfe von drei Kriterien von anderen Forschungen unterschieden werden: durch den Forschungsinhalt, durch die Forschungsmethode, und durch den aus der Perspektive des Entwerfens geprägten Forschungsansatz, also durch die Sichtweise. Diese scheint mir das entscheidende Kennzeichen von Designforschung im Vergleich zu anderweitiger Forschung zu sein.

Die spezifische Sichtweise tangiert auch die Designgeschichte. Anfänglich wurde dieser Bereich bekanntlich von der Architektur- und Kunstgeschichte abgedeckt, was sich bald als unzureichend erwies. Schließlich ist das Design nicht mehr als eine Subkategorie der Architektur oder der Kunst oder künstlerischen Szene zu fassen. Eine neu ansetzende Designgeschichte vollzieht einen epistemologischen Bruch und setzt sich vom disziplinären Denken und herkömmlichen Formen der Geschichtsschreibung ab. Sie trennt sich definitiv von chronologischer Erzählung und begnügt sich nicht mit einer Stilgeschichte oder einer Geschichte der Entwerfer oder Schulen, sondern praktiziert eine Konvergenzgeschichte, die einen breiten Fächer von Aspekten berücksichtigt: also politische, soziale, wirtschaftliche, technische, industrielle, umweltrelevante und gebrauchskulturelle Aspekte.

Im Grunde meint dies, für die Einbettung der Designgeschichte in das Bezugsfeld einer umfassenden Geschichte der materiellen und semiotischen Kultur zu plädieren, was nicht etwa meint, die Designgeschichte solle in einer allgemeinen Medien- oder Kulturgeschichte aufgehen und damit ihrer Eigenheit verlustig gehen. Kurz gefasst zeichnet sich dieser Forschungsansatz dadurch aus, dass er sich auf Objekte im soziotechnischen Netz konzentriert und eine Geschichte der materiellen und semiotischen Artefakte aus der Perspektive des Projekts erforscht.

Diesen Ansatz kann man auch auf die Designtheorie ausdehnen, die sich wegen des verschwommenen Begriffs ‹Design› allzu leicht auf einem Tummelfeld aller möglichen kulturwissenschaftlichen Erörterungen verliert und den Bezug zur Zentralkategorie ‹Projekt› einbüßt. Ein entwurfsorientierter Ansatz rückt die Kernthematik gestaltender Tätigkeit ins Zentrum und verleiht ihr klare Konturen. Diese thesenhafte Formulierung ist nicht auf einen simplen terminologischen Wechsel, auf das Austauschen eines Begriffs mit einem anderen Begriff zu reduzieren und damit misszuverstehen. Vielmehr geht es um einen Neuansatz.

Der spezifische Beitrag des Design besteht darin, den Gebrauch von Artefakten – (wenn man will das Interface) – im Rahmen des jeweiligen Kontextes ins Zentrum des Forschungsansatzes zu stellen. Man könnte einwenden, dass dies bereits von der Anthropologie geleistet würde. Aber das trifft nur bedingt zu.

Die Anthropologie erforscht zwar primär die historischen Spuren von Objekten menschlicher Gemeinschaften, lässt jedoch die Mehrzahl der erwähnten Kriterien, vor allem die Entwurfsdimension außer Acht. Dafür ein Beispiel: Im argentinischen, sehr dünn besiedelten Teil Patagoniens (mit 765.000 km2 rund doppelt so groß wie der BRD) lebten ursprünglich die Nomaden Tehuelches, die in dem sehr unwirtlichen, windigen Steppenklima Zelte aus Guanacofell aufbauten. Die schwere Aufgabe, die Zelte zu tragen und
aufzubauen, fiel den Frauen zu. Es finden sich in der Literatur zwar Beschreibungen mit ungefähren Maßangaben und einige grobe Skizzen, die aber nicht erkennen lassen, wie diese Leder z.B. an den Pfählen befestigt wurden, um den heftigen Stürmen standzuhalten. So machten sich Designerinnen daran, aus den spärlichen anthropologischen Unterlagen ein Zelt zu rekonstruieren, und die Frage nach der Herstellung und dem Aufbau dieses Artefakts zu beantworten, die in der Anthropologie nicht gestellt wurde und mehr noch, nicht einmal gestellt werden kann, da in der Anthropologie wie auch anderen Wissenschaften die Kategorie des Entwurfs weitgehend eine unbekannte Größe ist [8].

So wie man Ärzten die Eigenschaft des medizinischen Blicks zuschreibt, also im Grunde, Differenzierungen wahrzunehmen, die dem Auge des Laien nicht auffallen, haben Designer einen designerischen Blick, also die Fähigkeit, an materiellen und semiotischen Artefakten gebrauchsrelevante Details wahrzunehmen, und mehr noch ein spezifisches Problembewusstsein. Einen in diese Richtung zielenden Ansatz scheint Latour mit seinem Konzept von Akteur und soziotechnischem Netzwerk zu verfolgen, aber eben vom immer noch vom monodisziplinär geprägten Standpunkt der Soziologie und ohne den Projektcharakter der Artefakte gebührend zu berücksichtigen.

Zum Kernstück der Ausbildung in Entwurfsstudiengängen gehört bekanntlich der projektorientierte Unterricht, der sich von einem nach Disziplinen geordneten Unterricht, wie er in der universitären Ausbildung gang und gäbe ist, grundsätzlich unterscheidet. Schwerlich wird jemand bestreiten, dass es derzeit um die Hochschulausbildung nicht gut bestellt ist.

Bereits vor Jahrzehnten machte sich diese Krise bemerkbar. Es ist das Verdienst der medizinischen Fakultät der McMaster Universität in Kanada, in den 1970er Jahren einen radikalen Schnitt in der herkömmlichen Ausbildung von Ärzten gemacht zu haben, indem das disziplinorientierte Ausbildungsprogramm durch einen problemorientierten Unterricht ersetzt wurde. Dadurch, dass dieser Neuansatz im Rahmen einer Universität entwickelt wurde, genoss er von Anfang an akademische Kredenzen und damit eine Legitimation. Die in diese Richtung verlaufende Umwälzung des Kanons der Hochschulausbildung ist derart vielversprechend, dass die Einschätzung nicht aus der Luft gegriffen ist, in Zukunft werde die gesamte universitäre Ausbildung problemorientiert, und das heißt projektorientiert sein. Das gilt für alle Wissensbereiche, geht also weit über den Bereich der Entwurfsfachrichtungen wie Architektur, Produktgestaltung und Visuelle Kommunikation hinaus.

Zum Schluss meiner kursorischen Ausführungen möchte ich noch kurz auf die Rolle der Designtheorie eingehen. Theorie entzieht sich bekanntlich einem Nutzenkalkül. Man griffe daneben, wenn man sie zu instrumentalisieren trachtet. Studierende der Entwurfsdisziplinen werden aus verständlichen Gründen möglicherweise einen fehlenden Bezug zur Praxis bemängeln, da Theorie leicht als abgehoben und spekulativ erscheint. Theorien dienen dazu, einen Realitätsausschnitt zu verstehen und zu erklären, im Extremfall ohne empirischen Bezug, allein aus epistemologischen Operationen, was den Verdacht nähren kann, dass es sich um irrelevante Glasperlenspiele handelt. Um dieser Gefahr vorzubeugen, kann es nützlich sein, wie schon eben angedeutet, die Bezeichnung ‹Designtheorie› durch ‹Entwurfstheorie› zu ersetzen. Es geht dabei explizit nicht um die Vermittlung von performativer Kompetenz, sondern um das Fördern von Verstehen und kritischem Denken.

Ich möchte ein Beispiel für einen projekttheoretischen Beitrag aus der Philosophie anführen – bekanntlich der privilegierte Ort theoretischer Erörterungen. Unter den zeitgenössischen Philosophen ist – abgesehen von Jürgen Habermas und Martin Heideggers Überlegungen über die Kategorie des Entwurfs – einer der wenigen, die überhaupt das Projekt der Moderne in Architektur und Industrial Design registriert haben, Jacques Rancière. Trotz dieses außergewöhnlichen Schritts gelingt es ihm allerdings nicht, sich vom Kunstbegriff zu lösen; vielmehr versucht er, das Design in den Rahmen von Kunstparametern einzuordnen. Er orientiert sich primär an der Kunst – und darum geht es ihm –, deren Definition er zu erweitern sucht.

Er schreibt: „Inwiefern ermöglicht die sich am Anfang des 20. Jahrhunderts entwickelnde Praxis und Idee des Designs eine neue Definition der Kunst innerhalb der Gesamtheit der die gemeinsame sinnliche Welt bestimmenden Praktiken? Bei diesen Praktiken handelt es sich um die Schöpfung von Waren, ihre Anordnung in Schaufenstern und ihre Abbildung in Warenkatalogen …“ [9]

Ich halte diesen Weg für ein Verständnis des Design und mehr noch als Ansatz für eine Projekttheorie für verfehlt. Wohl hingegen schätze ich nicht nur die Art und Weise hoch ein, wie Rancière sich der Thematik nähert, sondern dass er es überhaupt tut. Dies ist das Außergewöhnliche an dem Philosophen, der fragt:  Welche Ähnlichkeit besteht zwischen Stéphane Mallarmé … und Peter Behrens, Architekt, Ingenieur, deutscher Designer…?  (op.cit. S. 108). Die Antwort auf diese Frage lautet, dass es beiden um die Ausarbeitung von Typen ging, und zwar: beim Dichter um die Verdichtung der Sprache auf das Wesentliche (das Fastverschwinden); beim Architekten, Ingenieur und Designer um die Reduktion der Gegenstände auf eine begrenzte Zahl typischer Formen. Beide verbindet die Gemeinsamkeit des Prinzips der Einheit.

Bekanntlich bildet der Begriff des Nutzens und der Funktion, wenn auch nicht so stark wie früher, eines der Zentralthemen der Designtheorie. Selbst ein verstiegener, von jeglicher Materialität sich abhebender Ansatz zur Entmaterialisierung kommt nicht darum herum, bei aller Distanz zum rein Praktischen, wenn nicht heimlicher Verachtung der Dimension des Gebrauchs und Nutzens, dem Umgang mit Artefakten der alltäglichen Lebensumwelt eine – und sei es minimale – Dosis von Nutzen zuzugestehen.

Schon Adorno konstatierte lapidar, dass der Gebrauchswert der Konsumgüter im Zeitalter der Überproduktion fragwürdig geworden ist und dem sekundären Genuss von Prestige, Mit-dabei-Seins, schließlich des Warencharakters selbst weicht [10], also dem, was man heute als Anschwellen der symbolischen Dimension von Artefakten und ihres Gebrauchs bezeichnet. Doch diese Fragwürdigkeit des Gebrauchswerts wäre nicht dahingehend zu
fassen, ihn überhaupt zu leugnen und ad acta zu legen oder auf den Scherbenhaufen ausgedienter Begriffe zu werfen. Ich zitiere dieses Beispiel, um eine der offenen Fragen der Designtheorie anzuzeigen wie es auch der Bildbegriff ist, für dessen Klärung Hans Belting im Rahmen einer Bildanthropologie grundlegende Beiträge geleistet hat [11], für die es abgesehen von Gilbert Simondons Standardwerk aus den 50er Jahren [12] meines Wissens bislang kein Pendant in Form einer Produktanthropologie gibt. Da tut sich ein lohnendes Forschungsgebiet für designwissenschaftliche Untersuchungen auf.

Abschließend möchte ich kurz die politische Dimension theoretischer Bemühungen oder allgemein des Entwurfsdiskurses streifen, in den unweigerlich der jeweilige Kontext eingeht und diesen, auf wie vermittelte Weise auch immer, widerspiegelt. Diskurse und Theorie oszillieren zwischen dem hegemoniekonvergenten und hegemoniedivergenten Pol. Sie erfüllen eine beschwichtigende oder eine antagonistische Funktion. Für die eine oder andere sich zu entscheiden, ist jeder TheoretikerIn und DiskursteilnehmerIn freigestellt, zumal in der heutigen von durchweg restaurativen Momenten der Gegenaufklärung durchsetzten Phase der Geschichte. Was die politischen Aspekte der Entwurfstätigkeit abgeht, verdichten sie sich in einer nicht leicht zu beantwortenden Frage: trägt der Entwurf zur Festigung hegemonialer Verhältnisse bei oder birgt er ein Emanzipationspotenzial?

Gui Bonsiepe


Von Gui Bonsiepe überarbeitete Version eines Vortrags auf dem Symposium re-set an der Hochschule für Gestaltung, Offenbach, 16. Mai 2014, veröffentlicht auf www.designforschung.org im Januar 2019. Wiederveröffentlichung im März 2022, nachdem der Beitrag im Zuge des Relaunches verlorengegangen war.

References

[1] Enzensberger, Hans Magnus. Herrn Zetts Betrachtungen. Berlin: Suhrkamp, 2013.

[2] Houellebecq, Michel. Die Welt als Supermarkt – Interventionen. Hamburg: Rowohlt, 2010.

[3] Lorey, Isabel, und Klaus Neundlinger, (Hrsg.) Kognitiver Kapitalismus. Wien / Berlin: Turia + Kant, 2012.

[4] Foster, Hal. Recodings – Art, Spectacle. Cultural Politics. New York: The New Press, 1985, S. 23.

[5] http://www.core77.com/blog/columns/why_design_education_must_change_17993.asp (26.11.2010). (Letzter Zugriff: 02.05.2013).

[6] Blumenberg, Hans. Geistesgeschichte der Technik. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2009.

[7] Norman, Donald. Design Thinking: A Useful Myth. Abrufbar unter:<http://www.core77.com/blog/columns/design_thinking_a_useful_myth_16790.asp>. Letzter Zugriff am: 10/09/2010.

[8] Fernandez, Silvia. Mujeres en el Dise o | Tehuelches | Mujeres | Los Toldos. Unveröffentlichtes Typoskript, 2014.

[9] Rancière, Jacques. Politik der Bilder. Übersetzt von Maria Muhle. Zürich – Berlin: diaphanes, 2009 [Erstausgabe 2003]. S. 107.

[10] Adorno, Th. W. Ästhetische Theorie. Gesammelte Schriften. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1972. S. 32.

[11] Belting, Hans. Bild-Anthropologie. München: Fink, 2011.

[12] Simondon, Gilbert. Du mode d'existence des objets techniques. Paris: Aubier, 1958.

  

Download & Citation Info

Bonsiepe, Gui (2019): Vom design turn zum project turn. In: DESIGNABILITIES Design Research Journal, (01) 2019. https://tinyurl.com/3abv2cnx ISSN 2511-6274